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hüllen des seins

lichtinstallation beim hgb-rundgang in leipzig. künstler leider unbekannt.

manchmal sind wir menschen im somarausch. eine lichtgestalt betritt den raum, die alle blicke auf sich zieht oder nur die aufmerksamkeit eines einzelnen erregt. man spürt die wärme, die von dem körper ausstrahlt. fiebrig. hitze durchfährt den körper wie ein blitz. getroffen. stumme bewunderung. manche nennen es liebe auf den ersten blick, andere reagieren mit rationaler distanz, lassen gerade mal sympathie zu, bleiben nicht an der oberfläche kleben, wollen die fremden gedanken inspizieren, austauschen. in beiden formen entsteht reibung, physische oder psychische. so wie diese lichtinstallation vor der heizung aufgebaut wurde, ist sie ein faszinierendes sinnbild für die menschliche sehnsucht nach wärme, die mit den ersten sonnenstrahlen eines lauen frühlings ihre knospen treiben wird, mal zart, mal obszön, mal in dezenten tönen, mal schrill. eine gute voraussetzung, um sich finger und mund zu verbrennen, durchs feuer zu gehen oder verliebt in anderen sphären zu schweben. wenn es soweit ist, haltet mich nicht am boden fest, damit ich die welt en miniature für ein paar minuten aus der vogelperspektive betrachten kann. damit ich das entfremdete ich aus den innereien picken und im gleitflug abstreifen kann. einfach nur sein ohne schwere,  in der leichtigkeit – für sekunden. flügellahm lande ich sowieso schnell genug und geerdet wieder auf dem planeten.

alles schon gehabt

wer wird schon gerne von der seite oder von hinten angesprochen? ich nicht, noch dazu, wenn ich gerade fotografiere, weil ich dann immer so schön konzentriert bin und meine umgebung komplett vergesse. umgekehrt werde ich als fotografierende offenbar  für meine mitmenschen interessant (was gibts denn da zu sehen? was soll denn das werden? oooch, guck mal, mache ich auch gleich ein foto…). schon öfters haben sich dabei absurde kurzepisoden zugetragen. so auch heute. an diesem unscheinbaren hydranten, einem durchaus vertrauten alltagsgegenstand. während ich also knipse und an den einstellungen herumspiele, spricht mich plötzlich ein leicht benommen wirkender junger mann an, und es entspann sich sinngemäß folgender dialog:

er: das kannste aber nich machen. das hat schon die ehefrau von rainer schade (*maler, grafiker, prof an der burg in halle*) fotografiert.

ich: ich plane nicht, daraus ein kunstprojekt zu entwickeln.

er: die (*sylvia schade, fotografin*) hat da sogar schon ausstellungen mit fotos von hydranten gehabt.

ich: ich mache keine kunst. ich fotografiere das für eine foto-community auf flickr (*faces in places*), die gegenstände mit gesichtern abbildet. für mich sehen die anschlußöffnungen aus wie ohren. eine abstrakte gesichtsform.

er: aha. ja, aber… ach, jetzt seh ichs auch… hm. jaja, jetzt seh ichs auch. ähmmm. ich mach dir ’nen vorschlag. da drüben hat der schnee noch keine spuren. da kannste mit den füßen ein gesicht malen und dann fotografieren.

ich: aha, toll. danke.

er (ab).

ich glaube ja, wir erklärten uns gegenseitig für völlig bescheuert. er schien mir dann doch etwas gelangweilt von der welt und schien sich in die alles-lustig-mit-kiffen-sphären verabschiedet zu haben. breit, drogenfrei grinsend und unbeirrt habe ich weiter fotografiert. und grinsend lief ich heim, freilich ohne fratzen in den schnee zu kratzen. unterwegs wurde mir klar, daß mich dieser kurze wortwechsel unfreiwillig auf das thema urheberrecht und ideengeber für bilder stieß. darf ich etwas fotografieren, was andere schon lange vor mir fotografiert haben? selbst wenn ich nichts davon weiß? obwohl ich mitten im zeitalter der vervielfältigung lebe, darf ich der welt etwas abgewinnen, es festhalten, dokumentieren, meinen eigenen blickwinkel darauf werfen? ich entschied mich für: ja klar! und zwar aus mehreren gründen. ich kann die welt nicht täglich neu erfinden, sonst fände ich mich sehr schnell nicht mehr in ihr zurecht. das derzeitige entwicklungstempo ist schon so rasant, daß ich mir manchmal wie eine abgehängte hechlerin vorkomme und dann die aufholjagd beginne. wollte ich alle „trends“ kennen, nicht nur ausprobieren, sondern auch nutzen, müßte ich mein schlafpensum gen null absenken. selbst dann noch könnte ich das wissen der welt nicht vollständig in mir aufnehmen.  fällt also aus, weil ich nicht neo aus matrix bin. ich stehle nicht bewußt ideen, ich schreibe bewußt nicht ab, ich kopiere nicht bewußt irgendeinen stil. dennoch könnte ich mich dem einfluß meiner umgebung nur durch unterbringung in einer isolationszelle oder in einer einsamen berghütte, das ist vielleicht nicht ganz so weit hergeholt, vollkommen entziehen. natürlich ohne internetanschluß det janze. wäre ich damit aber schon meine prägung los? nein. wollte ich die kulturelle prägung gar ablegen? nein. im gegenteil, ich will mehr. ich trinke neu:gier und lebe schau:lust jenseits der katastrophe. ist das schon verwerflich?

fernab der massenprodukion gibt es kaum gleiches, es gibt sehr viel mehr ähnlichkeiten und im verhältnis zu dem bereits vorhandenen sehr wenig wirklich neues. ich bin kein genie. ich bin nur da. ich sehe. ich fühle. ich höre. ich rieche. ich schmecke. ich lebe und schreibe mein erleben. ich bin. ich denke. ich handle. ich verfehle. und bin irgendwann nicht mehr. aber noch bin ich ich. ich sehe abweichungen und ähnlichkeiten. weil ich bin, wie ich bin. ich bin, was in mir ist und was um mich ist. bin ich deswegen ein weltdieb? geboren, nicht um zu lernen, sondern nur um ideen zu rauben? ich sehe da ja nach wie vor eine kluft zwischen inspiration, nachahmung und kopie. so sehe ich das. wahrnehmung der welt mit den eigenen, erlernten und noch zu erlernenden mitteln. andere sehen das anders. und das darf, kann und muß ich täglich erleben.

mein double und ich

männlicher stolz? eine erfolgsgeschichte ergibt sich aus dem zeugungsakt leider nicht in jedem fall.

kaum wird man auf die welt gepreßweht, nimmt das ähnlichkeitstheater seinen lauf. ganz der vater/die mutter/der samenspender, halb und halb, gelungene mischung oder aber es keimen zweifel an der vaterschaft auf. wurden damit noch nicht genügend komplexe im subjekt erzeugt, muß man sich im zeitalter der reproduzierbarkeit meistens mit omnipräsenten medienvisagen vergleichen lassen. wohl dem, der sich hinter allerweltsgesichtszügen verstecken kann, die keinerlei auffällige ähnlichkeiten zu  irgendjemandem aufweisen und der sich nicht ständig anhören muß: du siehst ja aus wie… (bitte hier den namen des individuellen doppelgängers einfügen). meine bekannten sehen u.a. angeblich aus wie: jürgen vogel (schauspieler), morten harket (sänger von a-ha), juliette binoche (schauspielerin). bei mir kann sich die außenwelt irgendwie nicht zwischen marusha (djane) und gudrun landgrebe (schauspielerin) entscheiden. ich hingegen sehe im spiegel lediglich erbgut. das ist auch gut so, weil der/die verwechselte im ungewohnten blitzlichtgewitter immer so blinzeln muß, was  wenig fotogen wirkt. und? wem seht ihr so ähnlich? (bitte keine vergleichsfotos mitschicken, nicht nur weil ich keine lust auf abmahnungen wegen urheberrechtsverletzungen habe, sondern auch leider ein eidetisches gedächtnis! mit der namenszuordnung sieht es bei mir hingegen weitaus schlechter aus, weshalb sich der aufwand nicht lohnt.)

ich frage mich immer wieder, aus welchen gründen solche vergleiche angestellt werden? will man schmeicheln oder schmähen? existiert denn keine andere möglichkeit, sich im leben zurecht zu finden, als das neue mit dem bereits bekannten ins verhältnis zu setzen? scheinbar können wir nicht viel mehr, als bis zu unserem tod immer und immer wieder zu relativieren, um das denken nicht vollkommen zu verwirren, die bilder sichten, schichten, sortierten und  kategorisieren. und doch glauben wir manchmal,  im abwägen neue wahrheiten gefunden zu haben, dabei waren es oft gerade mal neue schattierungen. es ist ja auch nicht zwingend schmeichelhaft, was die menschen da als vergleichswaisen zu hören bekommen, wie man z.b. in dem erhellend-erheiternden video schlecht geklont sehen kann. dort findet man etwa das porträt der wolfsschablone neben gollum. noch viel schwieriger wird die situation allerdings, wenn man selbst mit viel gutem willen nicht nachvollziehbare, angebliche doppelgänger entdecken soll. innerlich jaule ich dann auf und verkneife mir die frage, ob wohl der kleine zeh vielleicht ein bisher verborgen gebliebenes detail ist, das ich unverzüglich genaueren betrachtungen unterziehen sollte? bloß wie, verdammt noch mal, sehen gleich die kleinen zehen von george clooney aus? da melden die synapsen des bilderarchivs: 0 treffer und langes gesicht.

dabei wäre es manchmal von enormem vorteil, wenn man bei unannehmlichkeiten einen klon vorschieben könnte. ob allerdings das geschaffene surrogat die probleme nicht erst noch verdoppelt, bleibt zu bedenken. darum verneine ich mein double sicherheitshalber lieber doppelt: neinnein.

desodorisierung und disziplinierung

*** dieser text ist ein auszug aus meiner magisterarbeit „a rose is a rose is a rose (gertrude stein) – geruchskostüme in der kunst“ und als replik auf den spon-artikelforschung gegen achselschweiß: dufte ideegedacht, dessen autorin mal wieder jeglichen eigengeruch aus der welt verdammen möchte und sich dabei als pr-püppi der parfümhersteller geriert.

intensiver dufteinsatz lässt heutzutage ein relativ einförmiges geruchsmuster entstehen. ein langer entwicklungsprozess der hygienevorstellungen und die ausbreitung der parfumindustrie, technische neuerungen, die alle lebensbereiche veränderten, trugen nach alain corbin zu einem prozess der desodorisierung bei. er sieht den ursprung dafür in einer kollektiven hyperästhesie, die etwa in der mitte des 18. jahrhunderts mit der zunehmenden industrialisierung und urbanisierung aufgekommen sei. mit welcher sorglosigkeit parfum derzeit aufgetragen wird, zeigt deutlich, wie wenig die konsumenten eigentlich über die inhaltsstoffe der lockstoffe wissen. in der hoffnung und dem felsenfesten glauben, sich von einem als „animalisch“ geltenden eigengeruch zu befreien, überschütten sie sich mit tierischen, pflanzlichen und künstlich erzeugten moschusgerüchen, ähnlich denjenigen, die über menschlichen duftdrüsen abgesondert werden.[1]

parfums gehören zu jenen gerüchen, die gezielt hergestellt werden, um menschen mit wohlgeruch und schamlosigkeit zu umgeben. ein gelungenes parfum verführt daher durch eine mixtur aus unnatürlichkeit und menscheln. unter animalisch duftenden, erotisch anziehenden stoffen versteht parfumeur paul jellinek jene, „deren geruch an den unseres körpers beziehungsweise seiner ausscheidungen erinnert.“[2] somit begeht der moderne, attraktiv duftende mensch zwei nahezu widersinnige handlungen nacheinander: zuerst entledigt er sich mit hilfe von parfümierten reinigungsmitteln seines eigengeruchs, um ihn sich nach dem abtrocknen in abgewandelter form erneut aufzutragen. in anderen kulturkreisen gehen die menschen unbefangener mit sexuell stimulierenden gerüchen um. japanische männer etwa brauchen bloß kleingeld in einen automaten einzuwerfen, auf einen knopf drücken, sich zu einem schlitz bücken und schon halten sie den einmal getragenen slip einer unbekannten jungen dame in den händen, mit dem sie sich schnüffelnd in das reich ihrer sexuellen phantasien befördern. so eignen sich gerüche wie bilder als onanistische vorlagen. der deutsche normalriecher mit halbwissen würde das bereits als geruchsfetischismus oder perversion diskreditieren.

ein blick oder mehrere atemzüge in einer drogerie belegen illustrativ, daß der moderne, deutsche mensch nicht auf seine abstammung aus dem tierreich verzichten kann, sie aber partout verleugnen möchte. in entlegenen winkeln solcher läden lassen sich dann schließlich eine minimale anzahl geruchsneutraler deodorants, kristalle oder waschmittel ohne zusatz von parfum finden. aber auch das bietet keine lösung, denn wohlgeruch gehört zum wohlbefinden. der zwangscharakter des riechens ergibt sich aus der körpernatur – ohne atemluft kein überleben. vielmehr hängt die lösung des duftbombardements weiterhin von qualität und menge ab.

die erwartungen moderner konsumenten an ein parfum reichen längst über das ästhetische genußerlebnis hinaus. parfums sollen helfen, schlechte laune in gute umschlagen zu lassen und die überdrüssige geistesverfassung zu wechseln wie ein kleidungsstück. parfumeure versuchen bei duftkreationen den jeweiligen zeitgeist in einem flakon einzufangen, durch den verbraucher mit einer einzigen fingerbewegung ihre erscheinung absichtsvoll ergänzen und ändern können. sie hinterlassen dann duftspuren, die ihr körpereigenes duftwesen mehr oder weniger effektvoll verkleiden. eine dusche reicht aus, um den leib auf einen neuen duftkokon – vergleichbar einem kostümwechsel – vorzubereiten. bedurfte die hygienische disziplinierung einst fremdzwängen, moralischer vehikel und drohungen mit dem gestank verbrannten sünderfleisches in der hölle, so ist sie augenblicklich zum genußakt geworden, in dem sich lust und sinnlichkeit im wundersamen einvernehmen mit der tugend etabliert haben und nach außen demonstriert werden. noch mitte des 20. jahrhunderts verkörperte die einhaltung der sauberkeitsregeln hingegen eine willensschulung:

man kann beweisen, daß ein mensch, der sich selten wäscht, völlig gesund bleiben kann oder nur einige unbedeutende lokale beschwerden aufweist. jedoch läßt sich offensichtlich feststellen: 1. daß es eine soziale notwendigkeit ist, sauber zu sein, und sei es nur wegen des unangenehmen geruches und des anblicks, mit denen unsaubere menschen andere konfrontieren; 2. daß körperliche sauberkeit einen einfluß auf die psyche hat; 3. daß schließlich der tägliche zwang zur körperpflege eine disziplin erfordert, die der erziehung des willens zuträglich ist und für innere ausgeglichenheit sorgt.[3]

sauberkeit heißt heute für die masse: totale unterdrückung von eigengeruch. moralische reinheit bedeutet analog: diktatur des willens und des intellekts über die gefühle. beides bleibt illusorisch.  duftkonsumenten versprechen sich von wohlgerüchen für körper, wohn- und arbeitsraum – über lust – vergnügen herzustellen, den geist atmosphärisch auf entspannung, harmonie, sexualität einzustimmen. deswegen sprechen duftexperten mittlerweile von funktioneller parfumerie. insgesamt impliziert diese geruchsentwicklung parallel zur entstehung des okularzentrismus eine ähnliche funktionalisierung. somit erweist sich die these der minder zugerichteten „niederen sinne“ von kamper und wulf als aus der luft gegriffen.


[1] dazu zählen geruchsstoffe des moschusochsen, der zibetkatze oder ein bestandteil aus jasmin absolue (indol). vgl.: jellinek, j. stephan (1995): „der planet der parfums im sternbild der düfte“. in: das riechen. von nasen, düften und gestank. kunst- und ausstellungshalle der bundesrepublik deutschland gmbh (hrsg.). schriftenreihe forum, bd. 5. göttingen 1995, s. 125.

[2] jellinek, paul: praktikum des modernen parfumeurs. heidelberg 1960, s. 197f.

[3] sédaillon, p.; soher, r.: précis d’hygiene et d’épidémiologie. paris 1949, s. 155. zit. n. vigarello, s. 251.

feine unterschiede

pingui1 rigo schmidts miniaturbilder eröffnen einen kulturgeschichtlichen kosmos. dabei irritiert die reihenfolge der drei bilder. vom gelben lichtspektrum über das rotlicht zum gekreuzten und gebrochenen höhlenbraun, das womöglich das platonsche höhlengleichnis symbolisiert oder aber die dreifaltigkeit persifliert oder beides oderoderoder. versucht man nur die symbole zu deuten, dann degeneriert natur in der distinktion zur religion und schließlich in der vervielfachung der abgrenzungen zur banalität. dergestalt entblößt sich der scheinbar unlösbare widerspruch zwischen natürlichem und artifiziellem. zeit und raum zum abschweifen.

für manchen bleibt die welt zappenduster, undurchschaubar. der sich mensch nennt, tappt vorsichtshalber linkisch durch das halbdunkel, vermeidet tunlichst jegliches anecken und das verlassen seines ursprünglichen lebensraums. oder aber er ist so schmerzunempfindlich wie ein nacktmull. entdeckerdrang ist ihm abhold. er lebt den frommen totenkult, die natürliche auslese, das stärkeprinzip. von weißen über fremde federn zu vatermördern. vom tummeln im meer zum belustigen im beengten zoobassin. vom bärenfell zum steifen kragen. von der etikette zur erstarrung auf der höhe des erfolgs. von der krawatte zum strick. vom kollar zum halseisen. vom transzendenten zu profanen fesseln für frevler in glaubenskriegen. glaube an die macht, an das geld, an das glück, an die vernunft, an das übernatürliche. meistens wissen wir genau, was wir anderen antun, aber wir tun es trotzdem. weil wir an etwas anderes glauben. grob fahrlässige geistige umnachtung statt größe. erzkonservativ, aber unmenschlich. bibeltreu, aber fleischesschwach. gleichheit predigen, profit mitnehmen, profil verlieren. tschüß rio reiser.

allein der wunsch nach einer knopflochentzündung ist kein typisch katholisches phänomen. wer will schon fallen, wenn er klettern kann, wenn der wissenerwerb erwerbslos macht? der lebenstraum reicht gerade mal vom ausgereizten dispo multipliziert mit sechs kreuzchen plus superzahl zum lottomillionär. endlich maßgeschneiderte übergröße, statt abspecken. pathologisch kastrierte ideale, eingetauscht gegen kohle und berauscht vom koks. schwelende effekthascherei im schwarzlichtmilieu. aber wenn die moral im mammon baden geht, ereignen sich noch hellsichtige versprecher: am ende bist du dann körperlich-geistlich komplett kaputt. die dann am aufgebahrten sarg stehen, blicken andächtig verklärt. sie sind erben. jetzt gilt nur noch eins: hauptsache die haare liegen gut. wie verzerrt die selbstwahrnehmung auf erden, so im himmel.

imagination – gerüche in der literatur

genuß und leidenschaft bilden den ausgangspunkt zahlreicher literarischer auseinandersetzungen über den geruch, so zum beispiel marcel prousts roman auf der suche nach der verlorenen zeit oder die gedichte des synästhetikers charles baudelaire in dem sammelband die blumen des bösen.[1] baudelaires gedicht das haar schildert die macht der gerüche über leidenschaftliche erinnerungen und läßt sie in der gegenwart wiederauferstehen:

lang – immer! – wird die hand in deiner locken masche
die perle säen, den rubin und den saphir,
damit du nicht entflöhst, wenn dich mein dehnen hasche!
bist du nicht die oase, wo ich träume, und die flasche
aus der erinnerns wein ich schlürfe heißer gier? (baudelaire 41f.)

in diesen versen zeigen sich duftende erinnerungen als persönliche, obsessive bildmaschine im gedächtnis und bieten ein schauspiel der leibbiographie, verloren geglaubter momente. sie kennen keine chronologische ordnung, verfliegen ebenso schnell, wie sie in die nase aufstiegen. gerüche sind demnach andauernd und dauerhaft, gleichsam vergänglich und leiten gelegentlich in ein erinnerungslabyrinth. sie changieren in ihren nuancen, sie sind bald hier, bald da: es ist etwas überraschendes am geruch, was eine empfindung für zwischenräume ermöglicht, wie ein horizont, eine linie, wo geruch und phantasie auf der entferntesten grenze des duftes aufeinander treffen. gerüche vermitteln behaglichkeit, geborgenheit, verlust, begehren, schmerz und erinnern an die vergänglichkeit menschlichen lebens. diese ambivalenz der olfaktorischen wahrnehmung wird in patrick süskinds roman das parfüm geprägt. zu einem wohlgeruch gesellen sich im selben atemzug immer gestank und widerwillen.

für einen moment war er so verwirrt, daß er tatsächlich dachte, er habe noch nie etwas so schönes gesehen wie dieses mädchen. dabei sah er nur ihre silhouette von hinten gegen die kerze. er meinte natürlich, er habe noch nie etwas so schönes gerochen… üblicherweise rochen menschen nichtssagend oder mirserabel. kinder rochen fad, männer urinös, nach scharfem schweiß und käse, frauen nach ranzigem fett und verderbendem fisch. durchaus uninteressant, abstoßend rochen die menschen. und so geschah es, daß grenouille zum ersten mal in seinem leben seiner nase nicht traute und die augen zuhilfe nehmen mußte, um zu glauben, was er roch. (süskind 26)

offensichtlich scheint der geruchssinn in der medialen vermittlung unabänderlich mit dem mangel an anderen sinnen verbunden zu sein: grenouille selbst ist bar jeder körperlichen ausdünstung, verfügt dennoch über einen außerordentlich geschärften und analytischen geruchssinn und scheint nur deshalb auf die komposition eines eigenen körpergeruches fixiert. er vertraut seinem geruchssinn mehr als dem gesehenen. nur selten benutzt er seine augen, um sich seiner umwelt zu vergewissern. als er schließlich den perfekten eigengeruch kreiert hatte, um seine mitmenschen in unterwürfige, anhimmelnde, willenlose kreaturen zu verwandeln, wurde er von der selbst ausgelösten wirkung der hemmungslosigkeit und des begehrens überwältigt. er erschien als duftender engel, als lichtgestalt, der die tobende masse nur durch seine leibzerstückelung teilhaftig zu werden glaubte und durchlebte seine leibbiographie als entwicklung vom liebesboten zum todesengel.

süskinds roman kann als auseinandersetzung mit den wahrnehmungsmöglichkeiten der gesellschaft gelesen werden. es wird klar, daß der duftverliebte grenouille im gegensatz zur visuell geprägten mehrheit eine außenseiterrolle einnimmt. süskind versuchte, dem geruchssinn einen höheren stellenwert innerhalb der sinneshierarchie einzuräumen, ohne die gefahren einer hypersensibilisierung außer betracht zu lassen. allerdings spielte der geruchssinn bei süskind nur eine sexuelle, ekstatische sowie räumlich-orientierende rolle und ist ein sonst anästhetischer nahsinn. im vergleich zu allen anderen sinnen scheint der geruchssinn in westlichen kulturen nach wie vor unterbewertet. für diese sinne existieren schon lange kulturelle einrichtungen wie galerien, museen, theater, konzertsäle, restaurants oder auch massagestudios und fitnesscenter. erst im jahr 1998 wurde in berlin-weißensee wieder ein duft- und tastgarten eröffnet, der explizit für blinde konzipiert war. klaus barth dagegen betont die bedeutung von synästhesie. er richtete 1994 in der bonner kunst- und ausstellungshalle den ersten duftgarten für die ‚geruchsblinde’ bevölkerung ein. der bewusste gebrauch des geruchssinnes am gesamten, synästhetischen wahrnehmungsprozess kann als bereicherung aufgefasst werden (barth 137).

mit seinem vermeintlichen plattitüden in dem theaterroman eindrücke aus afrika (impressions d’afrique) schockierte raymond roussel 1910 französische leser, und in den folgenden zwei jahren löste seine bühnenfassung beim pariser publikum befremden aus. er zog die konstruktion von wirklichkeit der realität vor und verließ während seiner reisen nur selten sein neun meter langes rollendes haus, sondern begnügte sich mit den ausgeburten seiner phantasie. die feierlichkeiten zur krönung des königs sollen mit einem theaterfest auf dem platz der trophäen begangen werden. in einem flüchtigen zwischenakt mit dem titel das echo des arghyros-waldes sendet constantin canaris den duft der beschworenen blumen hinterließ roussel das publikum in der berauschenden wirkung verschiedener blumen- und kräutergerüche (roussel 70). er experimentierte folglich mit den differenzierten kommunikationsebenen von sprache und gerüchen. erst beim echo des wortes rose drang der duft in die nasen. zuerst wartete er also die assoziationen des lauschenden publikums ab, um dann dem geruchssinn eine erneute bedeutungszuweisung zu ermöglichen. vermutlich wollte roussel hiermit den verstörenden einfluß von sprache auf empfindungen darstellen, ein interaktionsfeld, das ziemlich viele bedeutungsebenen gestattet und der phantasie keine schranken vorgibt.

was aldous huxley 1932 in seinem roman schöne neue welt als utopie beschrieb, wurde kurz darauf von der illusionsmaschine kino aufgegriffen: die protagonisten lenina und henry besuchen berlins größte duft- und farbenorgel. allerneueste synthetische kondensmusik unter den linden (huxley 77).  signifikant wirkt selbst in diesem buch die verbindung von gerüchen und glücksgefühlen. während sex zum zweck der fortpflanzung nur noch als eine primitive randerscheinung zwischen wilden praktiziert wird, versucht ein totalitäres regime den rest der kultivierten bevölkerung durch tabletten für euphorie und verhütungsschutz, dauerberrieselung (schlafschulunterricht) und beduftung in einem zustand der hörigkeit verharren zu lassen. es gibt lustvolle melodien, untermalt von sexofonen, farborgeln projizieren sonnenuntergänge an die domkuppel. lenina und henry waren in eine andere welt entrückt, in die durchglühte, farbenfrohe, unendlich freundlichere welt des somarausches. wie nett, wie schön und hinreißend unterhaltsam alle menschen zu sein schienen. (huxley 78).

dieses ganzkörperkino oder fühlkino verschafft ein erleben des films mit allen sinnen. der duft übernimmt eine exponierte stellung im kinoerlebnis: in der filmankündigung wird er als das originelle akzentuiert. neben der kinoorgel, die zahlreiche orchesterinstrumente und geräusche imitieren konnte, ermöglichte die duftorgel eine olfaktorische echtzeiterfahrung. luftgefüllte sessel paßten sich den körpern der kinobesucher an, die mit augen, ohren und ihrer nase an einer vollständig simulierten sinnenwelt teilhaben konnten. huxley selbst akzentuierte im vorwort, daß es ihm nicht um die darstellung eines totalitären regimes ging, das seine herrschaft mittels knüppel und exekutionskommandos, mittels künstlicher hungersnöte, massenverhaftungen und massendeportationen durchsetzt, sondern um sanfte kontrolle der sklaven ohne zwangscharakter durch methoden der suggestion (huxley 15). dazu eignen sich gerüche offenbar besonders gut. die normierung von menschen, wie sie sich im roman entblättert, zeigt sich nicht nur als technische, sondern als biotechnologische revolution. vielmehr macht sie nicht halt vor gefühlen und körpern der menschen, deren selbstbestimmungsrecht alleine darin liegt, glücklich zu sein. eine wahlmöglichkeit besteht nur zwischen technikwahn und bewußter wahrnehmung, die an vernunftgründe gekoppelt ist.

mit jedem atemzug projiziert der mensch ein abbild der umwelt in sein gehirn, ohne es zu ahnen. der geruch ist die einzige vitale wahrnehmung, der sich ein subjekt nicht verschließen kann, ohne zu ersticken. anders beim sehen und hören: augen können geschlossen, ohren zugehalten werden, um widerwärtigen bildern und geräuschen zu entfliehen. vielleicht besteht gerade darin die überlegenheit der geruchsempfindungen, daß sie vor einer analytischen zergliederung relativ geschützt sind. deswegen wirken sie als zeichen, die ganz für das individuum bestimmt sind. das fehlen der gerüche im semantischen feld und ihre besonderen relationen zum gedächtnis sind aber gründe jener kraft, die sie zu symbolen schlechthin macht. evokatorische und suggestive eigenschaften müssen überdies zu den sofortigen und extremen reaktionen auf gerüche in bezug gesetzt werden.

in vielen romanen nehmen geruchsschilderungen im gegensatz zu den anderen kunstbereichen einen ausnahmsweise breiten raum ein, was schlicht und ergreifend auch an ihren metaphorischen möglichkeiten liegt. wenn sich aber – wie beispielsweise im falle duchamps – der künstler als ein medium versteht, mag darin dessen subtile wahrnehmungsweise münden. imagination und intuition, zufall und traum, realität und künstlerische wirklichkeit sind die stoffe, die ein künstler inhaliert wie gerüche, die eng an phantasie und kreativität gebunden scheinen.

in welchem olfaktorischen rahmen vollzieht sich nun aber das lesen? klassische orte des lesens sind für alle wissenschaftlich arbeitenden bibliothek oder wohnung. die eigene wohnung ist der sicherste raum in bezug auf den ausschluß ungewollter gerüche. das heißt zugleich, die wohnung ist geruchlich relativ eintönig und ihr bewohner an ihre gerüche habitualisiert. er nimmt sie unbewußt  wahr oder ignoriert sie gar. verändert wird der geruch etwa durch eine tasse kaffee, die auf dem arbeitstisch platziert mit ihrem anregenden aroma kurzzeitig für angenehme konzentrationsschwäche sorgt. der effekt hält nur etwa zwei minuten an, danach setzt adaption ein. in einer bibliothek sind die olfaktorischen reize bereits wesentlich zahlreicher. an die des tischnachbarn und des geöffneten buches gewöhnt sich der leser rasch, die der vorbeihuschenden menschen bieten dagegen manchmal ablenkung. zwar ist die nase auf das buch gerichtet, orientiert sich aber weiterhin im raum. hat der vorbeieilende einen angenehmen geruch, folgt eventuell eine prüfung mit den augen und der text rückt in die ferne. war der geruch unangenehm, fällt die konzentration ebenso schwer, die atmung wird flacher, um sich das schlechte vom leib zu halten. manche verlassen vielleicht sogar angewidert den lesesaal. im leipziger park wird der lesende von mai bis ende juni von einem penetranten bärlauchgeruch umweht. danach folgen gleich die lindenblütendüfte. der geruch ist durch die windbewegung wesentlich länger präsent bzw. wird immer wieder neu an die riechzellen herangetragen, kann also das denken und die gefühle erheblich wirkungsvoller beschäftigen. demzufolge beeinflussen vor allem  neue und fremde gerüche das denken, indem sie es unterbrechen, in andere bahnen lenken, es eventuell sogar still stellen. riechen wird im außenkontakt zur zwangswahrnehmung, in der einsamkeit zu einer frage von gewöhnung oder lustvoller olfaktorischer selbst- und rauminszenierung.


[1] sehr ausführlich behandeln die literaturgeschichte des riechens hans j. rindisbacher the smell of books: a cultural-historical study of olfactory perception in literature (michigan 1992) und winfried menninghaus’ ekel in den kapiteln über franz kafka und jean-paul sartre den zusammenhang von ekel und geruch.

*** dieser text ist ein auszug aus meiner magisterarbeit a rose is a rose is a rose (gertrude stein) – geruchskostüme in der kunst.

scha:r:fsinn

um neues zu entdecken, muß ich nicht zwingend meine vertraute umgebung verlassen. ich kann einfach meine wahrnehmungsposition verändern. das pfingstwochenende mit besuchern bot solche möglichkeiten, aus dem alltäglichen auszubrechen, ohne auf drogen zurückzugreifen, wie aldous huxley es in seinem aufsatz ‚die pforten der wahrnehmung‘ beschreibt. schon der tempowechsel der fortbewegung von fahrrad auf füße entschleunigt, öffnet den blick für sonst vorbeirauschende kleine details. da müssen nicht die in allen touristenführern beschriebenen sehenswürdigkeiten begafft werden, die  die gäste ohnehin schon vor jahren gesehen haben. überall an den fassaden, regenrohren, stromkästen, laternenpfählen, verkehrsschildern und mauern findet sich street art, nachdenkliches, kurioses; ganz beiläufiges, was stutzig macht. ich frage mich manchmal, wer  bei den entdeckungstouren eigentlich neugieriger ist, die besucher oder ich?

die gespräche umkreisen verschiedene themen, plötzlich unterbricht wieder einer und sagt: das da drüben muß ich mir mal aus der nähe betrachten. wühlen in den hosentaschen, kamera auspacken, hoffen, daß die bildqualität stimmt, ein bißchen mit der belichtungszeit spielen, mit den perspektiven. das vergängliche irgendwie festhalten wollen, bevor es übermalt, gecrosst oder überklebt wird. und dabei an die flüchtigkeit des lebens denken, an zufall, an politische grabenkämpfe; feststellen, daß man ganz nebenbei lernt, verschiedene stile zu unterscheiden und wiederzuerkennen; sich nicht darüber wundert, warum man nie hausbesitzer werden wollte.

peu à peu werde ich das fotografierte hier dokumentieren, wenn es zum thema paßt oder sich ein eigenes thema aus den bildern ergibt. und weil gerade wieder viele über die schafskälte meckern, habe ich in meinem fundus schon die entspechende bildliche darstellung gefunden.

schafskaelte

ich freue mich über jeden besuch, in der realität über den angekündigten, in der virtualität über den unverhofften, der mit mir nicht über das wetter kommunizieren will. small-schreib (fieses denglisch) und -talk gehörten so gar nicht zu meinen stärken und stellen mich vor große geduldsproben. einfach nur höflich sein wollen, finde ich sekkant. menschen werden für mich oft erst interessant, wenn sie ihre masken ablegen oder sich ganz offensichtlich  maskieren, um ihr lebensgefühl auszudrücken. dafür nehme ich mir liebend gerne viel zeit. vielleicht wird auf diese weise aus dem wolf im schafspelz ein respektables wesen. vielleicht aus scharf- auch nur schafsinn. perspektivenwechsel und zeit sind meine basis für veränderung.

der mensch als parfümierter affe

riechen als dualismus

auszug aus meiner magisterarbeit ‚rose is a rose is a rose‘ (gertrude stein) – geruchskostüme in der kunst

das deutsche wort nase geht zurück auf die begriffe naris aus dem lateinischen und dem altindischen nasa. letzteres ist ein dualwort und beinhaltet zwei wesen oder verbformen für zwei zusammengehörige tätigkeiten und vorgänge, nämlich das atmen und das riechen. die wörtliche übersetzung lautet korrekt ‚die beiden nasenlöcher‘. die singuläre verwendung des wortes naris meint soviel wie nase, nasenloch, nüster, erst aus der pluralform ergibt sich die verbindung zu dieser duplizität, die sich dann in der bedeutung von nase und nüstern zeigt. im weiteren sinn wird das wort aber auch in der konnotation feine nase, scharfsinn, feines urteil verwendet.

daß jäger und sammler ihre nahrungsquellen einerseits aus beobachtung von tieren, andererseits aber auch durch eigene geruchs- und geschmacksproben erschlossen haben, verweist auf den ursprung des wortes als ausdruck einer feineren geruchswahrnehmung. immer wieder kann im supermarkt oder auf dem wochenmarkt beobachtet werden, wie menschen an obst und gemüse schnuppern, um reifegrad und qualität zu beurteilen. der Kern dieses rituals dürfte auch darin zu sehen sein, daß sie nach wie vor prüfen, ob etwas eßbar oder ungenießbar ist.

tatsächlich fand der kalifornische wissenschaftler noam sobel von der stanford university in palo alto heraus, daß die luftzufuhr in beiden nasenlöchern unterschiedlich stark ist und sich die nasenlöcher bei der aktivität abwechseln. er vermutet als ursache für die entschlüsselung der erstaunlich vielfältigen geruchlichen umgebung die differenzierten strömungsgeschwindigkeiten der luft in beiden nasenlöchern. wenn ein geruch aufgenommen wird, passiert er zunächst die nasenschleimhaut, wo er an geruchsrezeptoren vorbei schwebt. die riechzellen saugen die duftmoleküle regelrecht auf und vermitteln erst dann eine geruchswahrnehmung. feinere duftmischungen kann ein mensch nur bei äußerster konzentration und viel training decodieren. ein parfumeur verwendet etwa 3000 synthetische duftstoffe und 150 natürliche ätherische öle. das übersteige, wie der parfumeur günther ohloff im buch ‚irdische düfte – himmlische lust‘ schildert, die speichermöglichkeit des gedächtnisses. deswegen wird seit 1997 in paris ein atlas der duftstoffe erstellt.

bei den beobachtungen über die funktionsweise beider nasenlöcher stellte noam sobel fest, daß düfte nicht nur unterschiedliche eigenschaften besitzen, sondern einige für die nasenschleimhaut besser zu verarbeiten seien. die Intensität ihrer wahrnehmung nehme zu, je schneller sie an den geruchsrezeptoren vorüber flögen. im langsameren nasenloch hingegen könne ihre volle Wirkung kaum entfaltet werden, weil sie dort schon von den ersten rezeptoren vollständig geschluckt würden. entscheidend für die entstehung einer geruchswahrnehmung scheint daher zu sein, mit welcher geschwindigkeit sie im oberen nasenbereich auf die riechrezeptoren trifft.

konträr zur aufnahme angenehmer gerüche, würden ‚gestanksmoleküle’ eher widerwillig auf die nasenschleimhaut treffen. wenn unangenehme gerüche die nase langsam durchstreifen, würden sie trotzdem von den rezeptoren aufgenommen und lösten einen abwehrreiz aus. sobel schildert den vorgang:

‚es ist zwar nicht so, daß man mit dem einen nasenloch äpfel und mit dem anderen apfelsinen riechen kann, aber dennoch ist der unterschied groß genug, daß wir geruchsnoten links und rechts unterschiedlich stark wahrnehmen.‘

so betrachtet, scheint das altindische wort ’nasa‘ einer wesentlich präziseren erfahrung von natürlichen, separierenden vorgängen zu entspringen, die vermeintlich in vergessenheit geraten ist. für das riechen ist ein vielfaches an genen im vergleich zum sehen zuständig. das menschliche genom für visualisierung enthält nur drei bauanleitungen für die eiweiße der sehzellen und deren farbwahrnehmung. ein weiteres gen ist für die hell-dunkel-wahrnehmung verantwortlich, schrieben die redakteure brodmerkel und berg in ihrem artikel ‚der richtige riecher‘ in der ‚berliner zeitung‘ (05.10.2004, s.13). 1991 entdeckten die mikrobiologin linda b. buck und der molekularbiologe richard axel, daß der mensch genau wie alle anderen säugetiere über cirka 1000 riechgene verfügt. in den genen wird die information der spezifischen geruchsrezeptoren der cilien (nervenfortsätze von riechzellen) festgelegt. so habe axel im dezember 1995 geschlußfolgert:

’schon dieser hohe aufwand mag anzeigen, welche bedeutung der geruchssinn bei den meisten säugern für das überleben und die fortpflanzung hat.‘

die unmittelbare, strikte bewertung bei der geruchswahrnehmung macht seine besonderheit aus. geruchseindrücke werden in wesentlich stärkerem maße als etwa sehen, hören oder tasten von emotionalen und bewertenden reaktionen begleitet. so ist es beispielsweise schwer möglich, sich des widerwillens, mit dem ein unangenehmer geruch (z.b. stinkbombe) zum rückzug rät oder der attraktivität eines essengeruchs mental zu entziehen. der verstand scheint durch gerüche jedweder art zeitweilig auszusetzen. deswegen kann der geruchssinn als absolut subjektgebunden oder selbstbezüglich charakterisiert werden. deutlicher als in anderen sinnesbereichen zeigt sich bei der chemischen stimulation der nasenschleimhaut, daß wahrnehmung nicht mit reizregistrierung gleichzusetzen ist, sondern auf einer wechselwirkung von perzeption und motivation, sensorik und motorik beruht, sodaß gerüche stark an personen, gegenstände, räume oder situationen gekoppelt erscheinen. urteile und menschliches handeln sind demzufolge viel enger an sinnliche wahrnehmung gebunden, als lange zeit angenommen wurde.

antonio r. damasio behauptet in seiner studie ‚gefühl und bewußtsein‘ sogar, daß gefühle grundlegende voraussetzung für menschliches bewußtsein bilden und erklärt diese these mit den chemischen und neuronalen veränderungen, die das gehirn auslöst, wenn reize als gefühlsauslöser an bestimmte regionen des gehirns (hypothalamus, basales vorderhirn und amygdala) weitergeleitet werden:

‚das ergebnis, der oben beschriebenen chemischen und neuralen befehle, ist eine globale vernetzung im zustand des organismus. die organe, die die befehle erhalten, verändern sich in reaktion auf die befehle. so bewegen sich die muskeln – egal ob die glatten in einem blutgefäß oder die quergestreiften im gesicht -, wie ihnen geheißen. doch auch das gehirn wird verändert. die ausschüttung chemischer stoffe, etwa von monoaminen und peptiden aus bestimmten regionen des hirnstamms, verändert die arbeitsweise zahlreicher schaltkreise im gehirn und löst spezifische verhaltensweisen aus – unter anderem bindungsverhalten, spielen oder weinen. die ausschüttung chemischer substanzen kann auch die repräsentation des körpers im gehirn verändern. mit anderen worten, das gehirn wie der körper im engeren sinn werden umfassend und tiefgehend durch die befehle beeinflußt, obwohl der ursprung dieser befehle auf ein relativ kleines hirngebiet begrenzt ist, das auf ein bestimmtes geistiges ereignis reagieren muß. kurzum, alle gefühle benutzen den körper – zum beispiel seine innere chemie, seine eingeweide und seine muskeln – als theaterbühne… gefühle sind ein allgegenwärtiger tatbestand des menschlichen lebens, und sie üben ihre wirkung durch empfindungen aus. durch empfindungen, die nach innen gerichtet und privat sind, machen sich gefühle, die nach außen gewandt und öffentlich sind, dem geist bemerkbar. letztlich ist es das bewußtsein, das den gefühlen ermöglicht, besonders tief und nachhaltig auf den geist einzuwirken.‘

damasio schildert den körper als medium seiner emotionen, die sein gesamtes verhalten und denken anregen, bestimmen und immer wieder neu gestalten. im alltäglichen gleichklang mag das vielleicht nicht besonders auffällig spürbar sein. aber: welcher mensch hat nicht schon einmal so intensive trauer oder glücksgefühle erlebt, daß er bemerkte, wie viel mühe es bedarf, um sich in solchen extremsituationen auf lernen, arbeit und andere gewohnheitsmäßige verrichtungen zu konzentrieren? immer wieder springen die gedanken oder schweifen ab. eine ähnliche stimulation und gesteigerte wahrnehmung bietet auch (performative) kunst in einer art gemeinsamer verabredung zur umbesinnung, versinnlichung und alltagsferne.

die Wahrnehmung von (körpereigenen) gerüchen und die gezeigten gefühle entziehen sich der selbstverortung in dem maße, wie unbestimmt die wirkung auf das menschliche gegenüber letztlich immer bleibt. glaubwürdig gemeinte, tolerante interaktion kann diesem problem von fremd- und selbstbestimmung abhilfe schaffen. selbst wenn ein mensch versucht, seine gefühle hinter einer fassade der undurchdringlichkeit zu verbergen, kann sein geruch ihn verraten. so wird zum beispiel in prüfungssituationen meistens scharf und beißend riechender angstschweiß über die hautoberfläche abgesondert, den nicht nur spürhunde oder bluthunde wittern. peinlich erscheint es dann, wenn sich unter den achseln, begünstigt durch synthetische stoffe, feuchte ringe abzeichnen.

exkurs: le pétomane

auszüge aus meiner  magisterarbeit „rose is a rose is a rose“ (gertrude stein) – geruchskostüme in der kunst

kapitel 5.8. exkurs: le pétomane

b:anale körperunst

joseph pujol ist ein perfektes beispiel für die verdrängung der ‚niederen’ sinne und des ‚trivialen’ aus den offiziellen kunstannalen. mit den ‚afterkunst-performances’ begann er seine karriere in den 90er jahren des 19. jahrhunderts auf der sogenannten elefantenbühne im garten des moulin rouge in paris und kassierte in seinen besten bühnenjahren eine tagesgage von 20.000 franc.  seine po-kompositionen müssen wie ein publikumsmagnet gewirkt haben, wenn sich etwa die gefeierte schauspielerin sarah bernhard anläßlich eines gastspiels in der comédie française vor leerem zuschauersaal genötigt sah, diese tatsache in ihren lebenserinnerungen mit der zur gleichen zeit stattfindenden und ausverkauften aufführung von pujol zu begründen. während jedoch die bernhard als star der ernsthaften bühnenkunst noch heute ein hohes maß an bekanntheit besitzt, geriet die vulgär wehende, ephemere, darmdonnernde, (b)anale unterhaltungskunst auf der vaudevillebühne, die das publikum zum zügellosen johlen brachte, beinahe in vergessenheit.

der künstlername le pétomane ist eine ableitung aus dem französischen argotwort péter (zu deutsch: furzen). aber weder banausenhafter furz, noch medizinische blähung oder flatus scheinen geeignet, eine engere beziehung mit der ‚hochkunst’ einzugehen. lebensnähe verband pujol mit dem maler und graphiker henri toulouse-lautrec, der ein plakat für das moulin rouge entwarf, auf dem pujol in leicht nach vorne gebeugter haltung – wie bei einem servilen bückling aus hochachtung vor dem geneigten publikum – zu sehen ist.

henri toulouse-lautrec: le pétomane.

als medizinisches phänomen konnte der kunstfurzer durch den anus luft einziehen und durch gleichzeitiges, gezieltes luftschlucken wurden seine schließmuskeln zu singenden sphinktern. diese seltene anale anlage ermöglichte ihm geruchloses darmtönen, denn die luft war schließlich nicht mit abgestandenen, verdrückten verdauungsabgasen verpestet:

„für gewöhnlich begann der pétomane, das hinterteil dem publikum zugewandt und über die schulter die einzelnen nummern ansagend, seine darbietungen mit einer reihe von ‚charakterfürzen’. vom ‚verklemmten jungmädchen-furz’ über den bellenden ‚schwiegermutter-furz’ steigerte er sich zum runden ‚maurer-furz’ (trocken). den höhepunkt bildeten die zu einer kleinen szene ausgebauten fürze ‚einer braut in der hochzeitsnacht’ (verschämt) und ‚am morgen danach’ (sehr laut).“ (oettermann, stephan: „allesfresser, schau-schlucker, hungerkünstler, kunstfurzer. über den geschmack am anderen“. in: kursbuch 79, februar 1985. hrsg. v. karl markus michel und tilman sprengler. berlin 1985,  s. 115 – 130, S.128ff.).

es ist signifikant, daß pujol sein darmkonzert mit einem schamschwellentest einstimmte. gelang das vorspiel, was sich aus den reaktionen des publikums herauskristallisierte, konnte pujol bedenkenlos mit stärkeren geschützen auffahren, die von zahlreichen militärgeräuschen (fanfare, artillerie) bis hin zur imitation zerreißenden stoffes und von tierstimmen reichten. In der ‚windstille’ folgte rektalrauchen. daran schloß sich der konzertante teil des abends an. flatulenz-fantasien brachten ein breites ‚stimmvolumen’ von sopran bis baß, von pianissimo bis forte zu gehör. damit nicht genug, steigerte er seine körperteilbeherrschung durch technische hilfsmittel. mit medizinischer präzision führte er sich einen schlauch in den anus und begann auf einer daran angeschlossenen okarina volkslieder (das schlaflied au clair de la lune oder das liebeslied o sole mio) zu spielen. das pupskonzert gipfelte in einem großen zapfenstreich mit heißer luft, indem pujol rücklings eine kerze ausblies. An den männerabenden soll er sogar seine hosen vor den po-bewunderern fallen gelassen und die marseillaise intoniert haben. die öffentliche kleiderordnung zwang pujol für seine aufführungen zu einer weiteren erfindung. um dem vorwurf erregung öffentlichen ärgernisses, das er ohnehin für die moralapostel bot, zu entgehen, ließ er sich eine eigens entworfene hose patentieren. die von vorne recht gewöhnlich aussehenden knicker-knatter-bocker zierte an der rückseite kurz unter dem hinteren hosenbund eine aufknöpfbare stoffklappe. dadurch verdeckte er seine blöße bei der einführung des schlauches und dem okarinakonzert und konnte somit seinerzeit skandalöse nacktheit abwenden.

mythos und moral

dieses ‚zweite gesicht’ pujols erinnert zuvörderst an die evolution. bei den urtieren bildeten mund und after noch eine einheit. claude lévi-strauss erwähnt in seiner mythologica III nachstehenden tanlipang-mythos: „einst hatten weder menschen noch tiere einen after, und sie kackten durch den mund.“ (lévi-strauss, claude: das wilde denken. frankfurt/main 1991, S. 508). es ist für den kultivierten, pazifistischen menschen schwer vorstellbar, aber in extremsituationen ißt und trinkt er alles. nicht nur in armut und im krieg vergißt er seine guten sitten und religiösen gebote. er raubt, mordet, vergewaltigt, mißhandelt, quält seine opfer psychisch und physisch. jedoch, zwischen blutrausch, barbarei und blähung liegen welten. mag vergnügungssucht durch furz-konzerte noch so sehr den schöngeist vergewaltigen, dann erscheint das als eingebildete, kulturell und gesellschaftlich kanonisierte mode. montaignes essay über einige verse des vergil zeugt noch vom fleisch und blut des leibes, seiner Leidenschaftlichkeit, seiner umtriebigkeit und prangert die im 17. jahrhundert eingebürgerte einschränkung der redefreiheit auf die monologische gedankenwelt an, weil die menschen ihr gewissen ins bordell schicken und zugleich den biedermann (423) spielten:

„was hat der geschlechtsakt, dieser so natürlich, nützliche, ja notwendige vorgang den menschen eigentlich angetan, daß sie nicht ohne scham davon zu reden wagen und ihn aus den ernsthaftesten und sittsamen gesprächen verbannen? wir haben keinerlei hemmung, die worte töten, rauben und verraten offen auszusprechen – und da sollen wir uns dieses eine bloß zwischen den zähnen zu murmeln getraun? meinen wir gar, wir hätten, je weniger worte wir darüber machen, ein um so größeres recht, mit unseren gedanken ständig darin zu schwelgen?“ (montaigne, michel de: „über gerüche“. in: essais. erstes buch. hrsg. v. hans magnus enzensberger. frankfurt/main 1998, s. 424).

gleiches ist für alle natürlichen körperverrichtungen – inklusive verdauungsvorgänge und  körpergeräusche – zu bemerken. nichts läßt sich in der medienära leichter befördern als ein deftiger sittenskandal des zerrbilds ‚gemeines’ volk, der von den vertuschten affären der staatsmacht ablenkt. wenn nur die lancierten politischen maskenbälle und bürokratischen worthülsen nicht wären, dann bräuchte das volk möglicherweise weniger opiate, um den parfümierten ‚affentanz’ lachend zu ertragen. ein bißchen ausgelassenheit im sinne des bachtinschen karnevalistischen weltempfindens sollte als ausgleich für den ernst des lebens möglich sein.

grotesker leib und karneval

in der tradition des grotesken leibes der renaissance steht auch pujol. zwar kann er seine gesäßmusik nicht wie beim mittelalterspektakel auf einem öffentlichen platz vorführen, dennoch leben einige elemente des karnevals, wie sie bachtin für die literatur beschreibt, in ihr weiter. zum einen herrschte im vaudeville per se eine atmosphäre des intim-familiären kontakts und karnevalisierten kollektivs durch das spielerische und komische auf der bühne, das sich außerhalb des alltäglichen ereignet (bachtin, michail M.: rabelais und seine welt. volkskultur als gegenkultur. hrsg. v. renate lachmann. frankfurt/main 1987, S. 77). bereits in pujols ‚entree’ kündigt sich die parodie der pietät als hauptmerkmal der aufführung an. sie enthält ebenso ambivalenz (verklemmt/enthemmt), der unschicklichen reden und dazugehörigen geräuschkulissen, die polarität und verkehrung von gesicht und gesäß, die exzentrik durch den spiegelbildlichen gebrauch des oralen blasinstruments als anales, den karneval als die umgestülpte welt (bachtin 49, 55). nicht umsonst wird die toilette scherzhaft als thron bezeichnet, denn in den natürlichen körpervorgängen sind sich alle menschen gleich. die demonstrierte wesensgleichheit trotz des gezüchtigten leibkanons löst dann auch das befreiende lachen aus:

„das lachen befreit nicht nur von der äußeren zensur, sondern vor allem vom großen inneren zensor, von der in jahrtausenden dem  menschen anerzogenen furcht vor dem geheiligten, dem autoritären verbot, dem vergangnen, vor der macht.“ (bachtin 39).

der groteske bühnen-leib pujols formte sich gleichsam aus der überbetonung des gesäßes durch den überdimensionierten gesäßlatz und die überwiegende hinteransicht zur besseren akustik. nur bei der nummernansage drehte er dem publikum sein gesicht zu, was eigene mögliche peinlichkeitsempfindungen abwenden helfen konnte. laut bachtin sind nach dem bauch und den geschlechtsorganen mund und after die wichtigsten grotesken körperteile, die im wesentlichen die überschreitung der übergänge und annäherungen zwischen menschen sowie zwischen mensch und umwelt markieren, transfer und orientierung zulassen (bachtin 17). wie bei der überschreitung der leibgrenzen im grotesken körper-drama leben und tod im lebenskreislauf kopulieren, geschieht das bei pujols bühnenauftritt. einatmen und ausblasen von luft sind die passagen, wobei das maß der unsittlichen körperbeherrschung normierte sittliche darmstille persifliert. wenn pujol kurz vorm bühnenabtritt eine ‚göttliche’ kerzenflamme mit menschlicher abluft ausbläst, schließt er die bio(gas)maschine mensch wieder an den ewig erneuernden lebensmotor natur an. wo es in zeiten der dekadenz deftig nach natur roch, reichte das manchmal doch für herzhaftes, ungekünsteltes lachen, wenn auch ohne nachhaltigen einfluß auf die gesellschaftlich regulierte lebenspraxis.