măndălina diaconu sieht in der bildlichen und literarischen darstellung von gerüchen zwar keine olfaktorische kunst und begrenzt diese deshalb auch auf den wesensgemäßen bereich der parfümerie (vgl. diaconu, sinaesthetik), dennoch kann allein mit dieser begründung die geruchswahrnehmung nicht generell aus der kunstrezeption ausgegliedert werden. denn wie bereits für das lesen gezeigt, vollzieht sich sinnliche wahrnehmung, selbst wenn sie eigentlich nur für auge, ohr und gaumen bestimmt sein sollte, nicht in der abtrennung der anderen, jeweils nicht dezidiert beanspruchten sinne. das wäre ein fataler kurzschluß, der einer von diaconu selbst postulierten aufwertung der sekundärsinne nicht wirklich dient. es geht hier nicht darum, den symbolwert von malerischen tafelgenüssen, stillleben und jungbrunnen für die olfaktorische kultur zu schmälern, die bedeutende zeugnisse für die jeweilige sinneskultur liefern können. riechbar wird das dargestellte allerdings nicht, es löst maximal einen speichelreflex und hungergefühle aus. aber wie beim lesen sind die rezipienten in einer galerie von olfaktorischen reizen umgeben, die sich zwar ignorieren lassen, deren existenz sich aber nicht leugnen läßt.
exemplarisch wurde die synästhetische wahrnehmung von kunstobjekten zur eröffnung der exposition surréaliste am 17.02.1938 in der galerie des beaux arts von georges wildenstein in paris vorgeführt. bereits die einladungskarte verhieß lust und schrecken, schock und hysterie und spielte mit derart geschürten erwartungshaltungen des publikums. der surrealistische ausstellungsort brach in seiner inszenierung mit allen gängigen vorstellungen von kunsträumen, in dem der besucher in einen erlebnisraum eintrat, der ihn durch seine erscheinungen beeindruckte und modifizierte. katharina sykora charakterisiert den federführend von marcel duchamp entworfenen hauptraum deswegen auch als dichte gesamtinszenierung im sinne eines gesamtkunstwerks (12). marcel jean beschrieb seinen raumeindruck wie folgt:
hier schwamm das wunderbare sozusagen auf der oberfläche des humors, war der raum verfremdet, eine phantastische metapher, in die der besucher, ob er es wollte oder nicht, hineingezogen wurde: eine riesige gewölbte grotte aus zwölfhundert aufgehängten kohlesäcken; der sanft gewellte boden war mit einem dicken teppich welker blätter bedeckt, und in einer bodenfalte schimmerte ein teich mit seerosen und schilf. inmitten dieser unterirdischen lichtung, einer synthese der inneren und äußeren welt, thronte auf einem kleinen podest als zeichen der freundschaft ein brasero, eines dieser glutbecken vor den terrassen der pariser cafés, um die sich die surrealisten im winter häufig zusammengefunden hatten, und in den ecken des saales schimmerten unter golddurchwirkten seidendecken vier prächtige, enorm breite betten als zeichen der liebe. zu beiden seiten des brasero waren an den tetraedern zweier drehtüren graphiken angebracht… hinter einem wandschirm wurde kaffee geröstet, im untergeschoß verbreiteten sich die düfte brasiliens, während aus dem lautsprecher die klopfenden paradeschritte der deutschen armee ertönten. (jean 281).
es wäre ketzerisch, diese euphorisch anmutende schilderung bloß als eine lang nachhallende ekstase durch vernebelnde duftwirkung zu werten. die exposition bezieht ihre wunderkammerwirkung nicht alleine aus geruchsdarbietungen, die ja nur einen teilaspekt im gesamtkonzept ausmachen. in dieser ausstellung wurden ‚permanente’ kunstobjekte innerhalb ephemerer raumstrukturen präsentiert und der stadtraum als leibgebundener erlebnisort arrangiert. inszenatorische gestaltungsmittel wie kohlesäcke, laub, seerosen, schilf, kaffeegeruch brechen in ihrem geruchsbezug mit der trennung von kunst und natur. sie sind inszenierungsmittel für eine bestimmte atmosphäre, einen gestimmten raum und umfassen in ihrer dort dargebotenen weise den dunstkreis der beteiligten künstler, bringen wesentliche elemente ihres lebensraums und ihrer leibbiographie zur geltung. alle geruchsstoffe können olfaktorisch vom rezipienten innerhalb eines veränderten wahrnehmungsfeldes neu bestimmt werden und entfalten sich mit den anderen sinnesdarbietungen zum performativen, synästhetischen und phänomenologischen welt- und kunstzugang.
die rollenänderung, besser das geänderte rezeptionsverständnis manifestiert sich auch in der lichtinszenierung mit taschenlampen von man ray, durch die der rezipient zwischen zuschauer, angeschautem, riecher, hörer, wandelnder hin und her gerissen wurde. immer aber blieb er in dieser ausstellung ein aktiver, der subjektiv die wahrnehmungspforten öffnen musste und seine ganz individuelle beteiligung durch jeweils ganz eigene eindrücke erfuhr. innerhalb dieses verdichteten städtischen raumes vermischten sich öffentliches und privates, innen und außen. die erotische inszenierung von schaufensterpuppen als objekten der schaulust im korridor führte im gewimmel der leiber von ausstellungsbesuchern geradewegs zu den verlockenden betten.
auf ähnlichen kunstaktionen des dada und der surrealisten beruhen viele entwicklungen moderner und postmoderner kunst. wesentliche einflüsse sind auch in der performance wieder zu finden. zum riechen und anderen sinneswahrnehmungen reizte ebenso die innsbrucker ausstellung the invisible touch – unsichtbar wahrnehmbar im kunstraum (januar/märz 2000). internationale künstler setzten sich mit ästhetischen reizworten empfindsamkeit, subjektivität, interaktion innerhalb ihrer kunstauffassung einer sinnlichen, nicht rein intellektuellen kommunikation auseinander. job koelewijn beteiligte sich mit zwei olfaktorischen kunstprojekten: wände und boden im talcum room waren komplett mit babypuder bedeckt. neben dem optischen eindruck, den spuren, die der rezipient hinterläßt, kann der geruch von babypuder zahlreiche erinnerungen (z.B. kindheit, mutter- und vaterfreuden) und gedankenketten hervorrufen, die den rezipienten in seiner leibbiographie verorten. in der bibliothek lag auf dem lesepult ein geöffnetes buch, in dem auf allen 730 seiten das gedicht the road not taken von robert frost mit rinderbouillon geschrieben wurde. das riechbuch spielt einerseits auf den verloren gegangenen bezug zum material an. frische druckerschwärze läßt bücher identisch riechen, schon nach kurzer zeit in einer wohnung oder einem muffigen keller tragen sie eine veränderte duftkarte, was auch der kauf von gebrauchten büchern auf dem flohmarkt oder im antiquariat bezeugt. andererseits offenbart die wiederholungsstruktur den charakter von geruchserinnerungen. kunst erscheint hier nicht mehr nur als form- und vernunftsache, sondern bietet leibgebundene erfahrungen und erfahrbarkeit als mögliches kommunikationsmuster an, die sich in einem persönlichen prozeß vollziehen und als performative erweiterung der kunst interpretiert werden können. das kunstwerk wird damit zum berührungspol, an dem sich der rezipient reiben, abstoßen, anschmiegen kann und eröffnet einen wechselseitigen und wenig vorhersehbaren kommunikationsprozeß, der unsere aktive teilnahme erfordert. (damianovic 1).
die lebenden skulpturen gilbert & george vereinigten in ihrer londoner ausstellung naked shit als inkarnation der analerotik körpermaterien des unterleibs mit einem ästhetischen verständnis, das laut selbstaussage dazu beitragen sollte, den tabuisierten, neurotischen, geringstenfalls verklemmten umgang mit blut und fäkalien als natürlichen materialien zu normalisieren: was tun wir letztlich anderes als essen und scheißen? nicht viel, und dann sterben wir. [1] ihre unbefangene, spielerische und sarkastische haltung löste nicht den von kritikern befürchteten schauder und ekel aus, sondern war eine art gesellschaftliches entschockierungsprogramm (ebd.). ihre srbeiten entstanden nicht, weil sie nach einer adäquaten darstellungsweise ihrer näheren umgebung suchten – das gegenteil ist der fall:
unser studio muß zunächst einmal penibelst aufgeräumt sein und klinische sauberkeit ausstrahlen, sonst können wir nicht abtauchen in diesen raum zwischen wachheit und traum. winzigste schmutzflecken stören unsere konzentration und werden vor arbeitsbeginn von den wänden radiert. dann beginnen wir, durch eine parallelwelt voller urin, kot und vergänglichkeit zu waten. wir beschreiten diese beiden entgegengesetzten wege gleichzeitig. sie bedingen einander. so wie wir auch selbst ständig zwischen verrücktheit und normalität hin- und herspringen. (ebd.).
das doppelt stigmatisierte künstlerduo (als künstler und als homosexuelle) verarbeitet schuld- und schamgefühle in seinen kunstwerken und visualisiert den anerzogenen ekel auf eine nicht impertinente weise, sondern zieht das bachtinsche lachen als eine befreiung von gesellschaftlichen und kulturellen zwängen ins künstlerische kalkül. nun arbeiteten die künstler zwar nicht direkt mit den beinahe lebensbedrohlich riechenden ‚naturrohstoffen’, sondern nur mit symbolischer darstellung; dennoch rücken sie zum beispiel mit ihren bildern flying shit, blood and piss, bloody and paint (alle von 1994) das schlecht riechende auf unbekümmerte weise wieder ins zentrum der elementaren lebenswirklichkeit, natürlichkeit und normalität.
gilbert & george: flying shit (1994).
die kunst greift hier das leben auf, dessen realien zwar weggedacht, aber nicht beseitigt oder bereinigt werden können. das ich bezieht und generiert sich in dem künstlerpaar aus einem sozialen gegenüber, das mindestens ebenso verletzbar, sterblich und instabil ist. in ihrer wirkkraft beruhen die bilder von gilbert & george wie so viele andere im 20. und 21. jahrhundert auf der geste der provokation durch archaik. in ihrerlLust am ekelhaften impliziert ihre kunst gleichzeitig die ironisierung ästhetischer elaborate, die fortwährend eklektisch schönheit, reinheit, geist, bildung, erbauung und ernst einfordern. aber lust und ekel würden dem leben in ihrer einseitigen ausschließlichkeit und auf dauer einen faden beigeschmack geben.
anders die installation cloaca des belgischen aktionskünstlers wim delvoye, die er in jahrelanger zusammenarbeit mit ärzten, ingenieuren und mikrobiologen baute. sie ist die erste künstlerische körpermaschine auf biochemischer basis (bexte 10). der körperautomat produziert nach täglichen zwei mahlzeiten, der nahrungszerkleinerung in einem mixer und in sechs linearen bioreaktoren mit menschlichen enzymen simulierte verdauungsprodukte mit realen biologischen ausscheidungen und verweist damit die leiblichkeit des künstlers in den produktionsbereich von wissenschaft und biotechnologie als theatrale ideen- und materiemaschine mit geist, aber ohne individuellen, dafür beliebig formbaren leib. die biotechnologische, artifizielle nachahmung von natur gedenkt zudem des barocken und avantgardistischen maschinenkults, realisiert und vervollkommnet ihn. bildoberflächenstrukturen verwandeln sich zur dreidimensionalität, womit die räumliche und prozessuale tiefenschicht von innereien bloßgelegt und perforiert wird.
wim delvoye: cloaca (installationsansicht), (c) artnet.com
delvoyes installation spielt mit den diametralen ansichten von hochkultur und zu perversionen degradierten menschlichen lebensvorgängen. er reizt das performative im hinblick auf die theoretisch-ästhetische würdigung des konzepts und des prozesses aus, denn der kunstmarkt verlangt nach sichtbaren und dauerhaften werten, die ohne darmgrimmen einen ausdruck der auseinandersetzung des künstlers mit seinem objekt/abject verkäuflich und vorzeigbar machen. rabelais’ totenkopf zeigt im angesicht der installation sein schelmisches, renitentes und subversives grinsen.
wie etwa duchamp in dem mehrere monate auf glas sich ablagernden staub eine künstlerische struktur der materie in ästhetik verwandelte, spielt auch delvoye mit den kategorien natur/kunst, zufall/zerfall und den im medienzeitalter verschwimmenden traditionellen raumstrukturen von nähe und ferne.[2] aus der ferne betrachtet wirkt sein mosaik (dokumenta 1992) wie ein prachtvolles muster, bei der annäherung zerfällt es zu säuberlich angeordnetem kotdekor auf delfter fliesen. womit sich der biologisch-skatologische kreislauf zum Kkörpergeruch durch wahrnehmungs-verändernde (medien)techniken wieder schließt: visuelle schönheit aus der distanz, olfaktorisch widerwärtiges im nahbereich, der übergang vom lustspendenden in das ekelhafte bzw. dessen ambivalenter schwebezustand. delvoye modellierte ein zwiespältiges mischwesen, das mit den worten des ehemaligen us-präsidenten george w. bush als turd blossom,[3] also jaucheblume bezeichnet werden kann.
[1] gilbert & george: wir haben einen traum. in: die zeit, nr. 23 v. 02.06.2005, s. 86.
[2] daß delvoye die spielerische geste duchamps mit performanz ausreizt und seine kunst direkt mit dessen verweiskultur verknüpft, dem signieren außerästhetischer gegenstände (readymades), belegen nicht zuletzt die tätowierten middelheim pigs (1994 – 1997), von denen er eines nach duchamp marcel benannte und das dann wie dessen fontaine (ein wc-becken) auf bürokratischen umwegen, unter protest von tierschützern (bei duchamp waren es kunstkritiker), den einzug in den museumsstall fand.
[3] so pflegte bush seinen wichtigsten berater, karl rove, an üblen tagen zu titulieren. zit. n. kleine-brockhoff, thomas: bushs rammbock. in: die zeit, nr. 30 v. 21.07.2005, s. 2.