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desodorisierung und disziplinierung

*** dieser text ist ein auszug aus meiner magisterarbeit „a rose is a rose is a rose (gertrude stein) – geruchskostüme in der kunst“ und als replik auf den spon-artikelforschung gegen achselschweiß: dufte ideegedacht, dessen autorin mal wieder jeglichen eigengeruch aus der welt verdammen möchte und sich dabei als pr-püppi der parfümhersteller geriert.

intensiver dufteinsatz lässt heutzutage ein relativ einförmiges geruchsmuster entstehen. ein langer entwicklungsprozess der hygienevorstellungen und die ausbreitung der parfumindustrie, technische neuerungen, die alle lebensbereiche veränderten, trugen nach alain corbin zu einem prozess der desodorisierung bei. er sieht den ursprung dafür in einer kollektiven hyperästhesie, die etwa in der mitte des 18. jahrhunderts mit der zunehmenden industrialisierung und urbanisierung aufgekommen sei. mit welcher sorglosigkeit parfum derzeit aufgetragen wird, zeigt deutlich, wie wenig die konsumenten eigentlich über die inhaltsstoffe der lockstoffe wissen. in der hoffnung und dem felsenfesten glauben, sich von einem als „animalisch“ geltenden eigengeruch zu befreien, überschütten sie sich mit tierischen, pflanzlichen und künstlich erzeugten moschusgerüchen, ähnlich denjenigen, die über menschlichen duftdrüsen abgesondert werden.[1]

parfums gehören zu jenen gerüchen, die gezielt hergestellt werden, um menschen mit wohlgeruch und schamlosigkeit zu umgeben. ein gelungenes parfum verführt daher durch eine mixtur aus unnatürlichkeit und menscheln. unter animalisch duftenden, erotisch anziehenden stoffen versteht parfumeur paul jellinek jene, „deren geruch an den unseres körpers beziehungsweise seiner ausscheidungen erinnert.“[2] somit begeht der moderne, attraktiv duftende mensch zwei nahezu widersinnige handlungen nacheinander: zuerst entledigt er sich mit hilfe von parfümierten reinigungsmitteln seines eigengeruchs, um ihn sich nach dem abtrocknen in abgewandelter form erneut aufzutragen. in anderen kulturkreisen gehen die menschen unbefangener mit sexuell stimulierenden gerüchen um. japanische männer etwa brauchen bloß kleingeld in einen automaten einzuwerfen, auf einen knopf drücken, sich zu einem schlitz bücken und schon halten sie den einmal getragenen slip einer unbekannten jungen dame in den händen, mit dem sie sich schnüffelnd in das reich ihrer sexuellen phantasien befördern. so eignen sich gerüche wie bilder als onanistische vorlagen. der deutsche normalriecher mit halbwissen würde das bereits als geruchsfetischismus oder perversion diskreditieren.

ein blick oder mehrere atemzüge in einer drogerie belegen illustrativ, daß der moderne, deutsche mensch nicht auf seine abstammung aus dem tierreich verzichten kann, sie aber partout verleugnen möchte. in entlegenen winkeln solcher läden lassen sich dann schließlich eine minimale anzahl geruchsneutraler deodorants, kristalle oder waschmittel ohne zusatz von parfum finden. aber auch das bietet keine lösung, denn wohlgeruch gehört zum wohlbefinden. der zwangscharakter des riechens ergibt sich aus der körpernatur – ohne atemluft kein überleben. vielmehr hängt die lösung des duftbombardements weiterhin von qualität und menge ab.

die erwartungen moderner konsumenten an ein parfum reichen längst über das ästhetische genußerlebnis hinaus. parfums sollen helfen, schlechte laune in gute umschlagen zu lassen und die überdrüssige geistesverfassung zu wechseln wie ein kleidungsstück. parfumeure versuchen bei duftkreationen den jeweiligen zeitgeist in einem flakon einzufangen, durch den verbraucher mit einer einzigen fingerbewegung ihre erscheinung absichtsvoll ergänzen und ändern können. sie hinterlassen dann duftspuren, die ihr körpereigenes duftwesen mehr oder weniger effektvoll verkleiden. eine dusche reicht aus, um den leib auf einen neuen duftkokon – vergleichbar einem kostümwechsel – vorzubereiten. bedurfte die hygienische disziplinierung einst fremdzwängen, moralischer vehikel und drohungen mit dem gestank verbrannten sünderfleisches in der hölle, so ist sie augenblicklich zum genußakt geworden, in dem sich lust und sinnlichkeit im wundersamen einvernehmen mit der tugend etabliert haben und nach außen demonstriert werden. noch mitte des 20. jahrhunderts verkörperte die einhaltung der sauberkeitsregeln hingegen eine willensschulung:

man kann beweisen, daß ein mensch, der sich selten wäscht, völlig gesund bleiben kann oder nur einige unbedeutende lokale beschwerden aufweist. jedoch läßt sich offensichtlich feststellen: 1. daß es eine soziale notwendigkeit ist, sauber zu sein, und sei es nur wegen des unangenehmen geruches und des anblicks, mit denen unsaubere menschen andere konfrontieren; 2. daß körperliche sauberkeit einen einfluß auf die psyche hat; 3. daß schließlich der tägliche zwang zur körperpflege eine disziplin erfordert, die der erziehung des willens zuträglich ist und für innere ausgeglichenheit sorgt.[3]

sauberkeit heißt heute für die masse: totale unterdrückung von eigengeruch. moralische reinheit bedeutet analog: diktatur des willens und des intellekts über die gefühle. beides bleibt illusorisch.  duftkonsumenten versprechen sich von wohlgerüchen für körper, wohn- und arbeitsraum – über lust – vergnügen herzustellen, den geist atmosphärisch auf entspannung, harmonie, sexualität einzustimmen. deswegen sprechen duftexperten mittlerweile von funktioneller parfumerie. insgesamt impliziert diese geruchsentwicklung parallel zur entstehung des okularzentrismus eine ähnliche funktionalisierung. somit erweist sich die these der minder zugerichteten „niederen sinne“ von kamper und wulf als aus der luft gegriffen.


[1] dazu zählen geruchsstoffe des moschusochsen, der zibetkatze oder ein bestandteil aus jasmin absolue (indol). vgl.: jellinek, j. stephan (1995): „der planet der parfums im sternbild der düfte“. in: das riechen. von nasen, düften und gestank. kunst- und ausstellungshalle der bundesrepublik deutschland gmbh (hrsg.). schriftenreihe forum, bd. 5. göttingen 1995, s. 125.

[2] jellinek, paul: praktikum des modernen parfumeurs. heidelberg 1960, s. 197f.

[3] sédaillon, p.; soher, r.: précis d’hygiene et d’épidémiologie. paris 1949, s. 155. zit. n. vigarello, s. 251.

sexuelle und religiöse ekstasen durch duftstoffe

für den urmenschen hatte der geruchssinn zunächst hauptsächlich eine überlebensfunktion. neben dem dienst für die ernährung warnte er vor naturkatastrophen oder wetterumschwüngen, wies auf wachstums- und verwesungsprozesse hin. über die körpergerüche ließen sich gruppenzugehörigkeit und paarungsbereitschaft bestimmen. aus diesem kontext treten erstmals gerüche hervor, die durch verbrennen entstehen, als der mensch feuer und rauch zu nutzen lernte und die sich insofern vom naturereignis als kulturtechnik unterscheiden. das feuer ermöglichte die gezielte herstellung von gerüchen und damit auch ihre intentionale verwendung.

in allen frühkulturen wurden wohlgerüche durch verbrennen balsamischer hölzer und harze für sakrale zwecke eingesetzt. zum himmel emporsteigender rauch und duft symbolisierten die verbindung zu den göttern und den seelen verstorbener, denn der geruch zeigt auch vergangenheit an. lange nach der realen existenz kann ein geruch im raum, im kleidungs- oder möbelstück haften und so auskunft über den oder das ehemals anwesende erteilen. weihrauch war und ist der heiße draht zum heiligen und in jener hinsicht eine art kommunikationsmittel. über die auswahl der duftstoffe konnten bereits einfache geruchscodes produziert werden. vom geruch des weihrauchs, der seit über 2000 jahren bei rituellen zeremonien eingesetzt wird, ist seine sinnesvernebelnde wirkung nachgewiesen. weihrauch besitzt die eigenart, die aufmerksamkeit in phantasiebereiche abdriften zu lassen. dies erreicht er im zusammenspiel mit dem luxuriösen pomp der kirchen und dem theatralen muster, dem eine messe folgt. schon die antike mythologie ging davon aus, dass es einen olympischen wohlgeruch (odor divinus) gibt. horst wenzel interpretierte dessen bedeutung folgendermaßen:

„wie sich die gottheit für menschliche augen und ohren in bild und wort, in licht und klang offenbart, so auch der menschlichen nase durch einen eigenen duft der heiligkeit. dieser entspricht dem duft des himmlischen paradieses und dem der reinheit jenseits aller sünde. geruch zeigt an, daß etwas scheinbar existiert. im vergleich zum hören dringt ein geruch tiefer und gehaltvoller in uns ein. duft ist im mittelalter ein attribut der herrschaft, ein statusindikator. dies wird eigentlich erst besonders deutlich, wenn man sich den gestank der bäuerlichen katen hinzudenkt.“ (wenzel, horst: hören und sehen, schrift und bild. kultur und gedächtnis im mittelalter, münchen 1995, s. 84).

die offenbarungen und hilfe von nefertum, dem ägyptischen duftgott, wurden nur gläubigen zuteil, die ihn mit duftenden rauchopfern anriefen. den imponierenden magisch-religiösen räucherkult übernahmen die griechen im 7. jahrhundert vor christus von den ägyptern. vor allem bei dionysischen riten kamen duftstoffe zu exzessivem einsatz, später dann bei den bacchusfesten in rom und den orgien des herodes.

wie aber kommt diese eigenartige verbindung von frömmigkeit und rausch, religion und orgie zustande? weihrauch besteht aus fünf grundsubstanzen: myrrhe, olibanum, laudanum, galbanum und styrax. das sind natürliche balsamartige harze, die unter biochemischen aspekten eine auffällige analogie zu den menschlichen hormonausdünstungen der achselhöhle, des atems und des urins aufweisen. auch der österreichische parfumeur paul jellinek bestätigte in versuchen die erogene wirkung der weihrauchbestandteile (vgl. watson, lyall: der duft der verführung. das unbewußte riechen und die macht der lockstoffe, frankfurt/main 2001, s 183f.). sowohl sexualhormone als auch weihrauchduft werden vom menschen auf unbewußter ebene im gefühlszentrum verarbeitet und wirken im jeweiligen kontext stimulierend und euphorisierend. gemeinschaftliche religiöse und geheiligte beglückung per weihrauch (per fumum) beruht demzufolge auf einer mimesis sexueller euphorie und präsentiert sich dennoch im gewand von jungfräulichkeit, reinheit und unschuld. der ursprung des parfums findet sich in magischen und religiösen praktiken, die als symbol von transformationen galten. in der folgezeit wurden die duftstoffe auch profanen zwecken zugeführt, zuerst in der medizin, dann auch im bereich der hygiene. duftstoffe galten in der antike als luxusgüter und ihre überreichliche anwendung war ausdruck von mammon und macht. bei festlichen veranstaltungen wurden körper, statuen, tempel, wohnräume, häuser und veranstaltungsorte mit düften geschmückt. die körperliche hygiene, das waschen, baden und parfümieren gewannen immer mehr an stellenwert. wohlgeruch war verbunden mit göttlicher abstammung, dem gestank dagegen haftete schon bald das dämonische an (fauvre, paul: magie der düfte. eine kulturgeschichte der wohlgerüche. von den pharaonen zu den römern, münchen 1993, s. 21ff.).

im griechenland der antike vertrieben wohlgerüche im profanen umgang ‚böse geister’, die als ursachen für krankheiten verstanden wurden. deshalb wurden verschiedene duftstoffe am ganzen körper verteilt, um den geruch des verfalls abzuwehren. nichtsdestotrotz erlangten die düfte nebenbei ästhetische und erotische funktionen. gesunder körper und gesunder geist wurden gleichgestellt, was sich auch am ausmaß von körperpflege, sportlicher betätigung und wertschätzung der nützlichen und schönen künste ablesen läßt.

die menschen der römischen antike lernten durch ihre feldzüge mit den kulturpraktiken von griechen und ägyptern kennen. in rom, das im 5. jahrhundert vor christus bereits eine million einwohner zählte, wurde einerseits zur huldigung der götter, andererseits aber sicher auch gegen den gestank überall in der stadt räucherwerk verbrannt. dem mörtel von götterstatuen mengten die bildhauer duftstoffe bei und salbten statuen mit aromatischen ölen. ob nun lampenöl, baustoff, speisen und getränke, alles erhielt duftende beigaben. selbst vor dem einsatz von duftstoffen bei öffentlichen veranstaltungen in den amphitheatern schreckte niemand zurück. mit rosenöl versetztes brunnenwasser verströmte vor den eingängen wohlgeruch. ein kanalisiertes duftsystem verteilte safran und andere duftstoffe in den besucherrängen. in mit sonnenbaldachinen überdachten amphitheatern saß das publikum und wurde mit rosenessenzen betröpfelt (ackermann, diane: die schöne macht der sinne. eine kulturgeschichte, münchen 1993, s. 34). gegen den gestank von mörderischem blut, angstschweiß und todesgeruch in den gladiatorenarenen wappneten sich die römischen bürger ebenso mit olfaktorischen rüstungen und schutzschildern der eigenen unverletzlichkeit im zuschauerraum. der römische dichter ovid schilderte im ersten buch der liebeskunst den geruchlichen wandel im theater. mit dem einzug der grausamkeit und der erotik erschien es notwendig, sich mit ästhetisch schönen duftstoffen den schrecken und die leibeslust vom leib zu halten:

„romulus, du hast zuerst unruhe gebracht in die spiele,
als der sabinerin raub ledigen männern gefiel.
samals spannten sich tücher noch nicht über marmortheater,
war mit safran noch nicht rötlich die bühne besprengt.
einfach gesträuch, welches wuchs im palatinischen bergwald,
stellte man hin: ohne kunst war so die bühne gebaut.
stufen waren aus rasen gemacht, dort setzte das volk sich,
laubwerk vom nächsten gebüsch schützte das struppige haar.“ (ovid, 1,101 – 108).

ovid nannte mehrere öffentliche orte, an denen sich gelegenheit zur einfädelung einer affäre böte. öffentlichkeit, die zu nähe und ‚zufälliger’ berührung geradezu einlud. nach seinen darstellungen nutzte die römische oberschicht vor allem theatervorstellungen und zirkusspiele zur kontaktaufnahme. die werbung verlagerte ovid aus einer ‚natürlichen’ scham der liebe heraus in den schutz der verborgenheit. alle mittel (z.b. kosmetik und duftstoffe), die angeborene schwächen maskieren, um einen elementaren liebesgenuß erleben zu lassen, hieß er willkommen. seine ars amatoria ist eine ästhetik der liebe, die vor dem hintergrund der ehegesetze von augustus zur stabilisierung der zweckehe einen schroffen gegenentwurf bildete. in ihr zeigt sich der damals offene widerspruch zwischen fremdzwang und realität: menschen, die sich durch ehegesetze nicht gängeln ließen und weiterhin offen dem (duft)luxus und einem lockeren liebesleben frönten.

auch im goldenen haus (domus aurea) von kaiser nero existierte eine duftanlage. nach berichten des historikers sueton sollen die speiseräume mit elfenbeinplatten getäfelt gewesen sein, die sich für einen blumenregen und zum ausströmen von düften öffnen ließen. eine gleichermaßen imposante anlage stellten die caraculla-thermen in rom dar, die um 216 eröffnet wurden. neben zahlreichen baderäumen gab es turn- und ruheräume, lehrsäle, büchereien, museen, gärten und wandelhallen (pfriemer, udo: bedürftig friedemann: aus erster quelle… eine sanitärchronik vom ursprung bis zum beginn des 20. Jahrhunderts, hansgrohe schriftenreihe, bd. 3, leiben 2001, s. 142). hier mischen sich geist und muße aufs innigste, was besonders unter berücksichtigung der gegenwärtigen trennung von arbeitswelt und vergnügen auffällt.

magie, geheimnis und geruch scheinen dauerhaft und untrennbar verbunden. die sprache bietet nur begrenzte möglichkeiten, über gerüche zu kommunizieren. darum müssen metaphern über diesen mangel hinweghelfen. als wahrscheinlich stammesgeschichtlich ältester sinn beeinflußt der geruchssinn das menschliche verhalten auf einer nonverbalen ebene zunächst rein gefühlsmäßig.[1] so besteht auch das entscheidende manko von parfumwerbung darin, geruch bisher nur über assoziative bilder und parfumnamen vermitteln zu können. anziehende gerüche, mit einer ausziehenden wirkung – denn mittler des wohlgeruchs blühen vor erotischen blicken, ideal geformten und sonnengebräunten körpern; mit romantischen und verführerischen melodien gemixt, versucht die werbebranche den zuschauer anzulocken und verheißt heiße, unvergessliche, erotische abenteuer unter palmen und anderswo. aus zeitschriften wehen liebestrunkene parfumwolken, die durch eine onanistische handlung – rubbeln wie beim glückslos – zur vollen entfaltung gebracht werden können. düfte werden in der handelsindustrie gerade wegen ihres unmittelbaren zugangs zum emotionalen unterbewußtsein eingesetzt, um das kaufverhalten positiv zu beeinflussen. duftmarketing bildet hier ein weiteres zauberwort für eine sublime art der manipulation, da sich gerüche der bewußten kontrolle durch den menschen hartnäckig verweigern.[2]

spätestens seit dem 15. jahrhundert besteht ein ganzer industriezweig, der sich anregenden duftstoffen widmet: die parfumerie. kleopatra sagt man nach, sie habe in milch gebadet und ihren körper mit duftenden pflanzenölen bereits zu lebzeiten einbalsamiert, um ihre natürlichen weiblichen reize zu unterstreichen. napoleon dagegen soll seiner frau briefe vom schlachtfeld geschrieben haben, in denen er sie aufforderte, sich kurz vor seiner ankunft nicht mehr zu waschen – wohl um sich von ihren natürlichen sexuallockstoffen überwältigen zu lassen.

nur noch rudimente des wissens um tödliche und heilende kräfte von gerüchen existieren heute – abgesehen von der wissenschaftlich kaum anerkannten aromatherapie, wie sie bis ins 19. jahrhundert hinein weit verbreitet war. bis dahin wurden enge beziehungen zwischen geruch und tod vermutet, was sich minutiös anhand der medizingeschichte der pest nachvollziehen lässt.[3] die ärztliche behandlung spricht bände davon, daß gerüche als unmittelbare krankheitserreger und -überträger aufgefaßt worden sind. entsprechend sah die therapie aus: räucherungen mit salbei, kamille und ähnlichen ingredienzien. in der antike ist die macht der duftstoffe unter anderem auf die mysteriöse herkunft der aromastoffe zurückzuführen. die arten der aromastoffe sowie die orte und bedingungen ihrer gewinnung waren nur wenigen bekannt und wurden oft dem reich gottes zugeschrieben. duftstoffe besitzen also eigenschaften, die sie mit dem übernatürlichen, dem heiligen verbinden. in zeitgenössischen werbespots kommt die bekämpfung des gestanks mit duftstoffen umgekehrt einer art teufelsaustreibung gleich. in wellnessoasen wird der streßteufel der arbeit mit entspannenden duftmassagen, bädern, tinkturen ausgetrieben – ein luxustrend mit duften zukunftsperspektiven.


[1] ein hinweis dafür könnte folgende beobachtung sein: „menschliche kinder lernen in den ersten tagen, menschen anhand ihrer gerüche zu erkennen; in den folgenden wochen lernen sie, einzelne menschen am klang ihrer stimmen zu unterscheiden, und erst mehrere monate später fangen sie an, gesichter zuverlässig durch den gesichtssinn zu erkennen. sehr wahrscheinlich erlernen wir verschiedene methoden, alle diese bestimmungen vorzunehmen, und es ist kein zufall, daß sich diese fähigkeiten in einer ihrer zunehmendenkKomplexität entsprechenden folge entwickeln.“ vgl.: minsky, marvin: mentopolis. stuttgart 1990, s. 314.

[2] vgl.: grossenbacher, b.: suftmarketingseminar. (http://www.grorymab.com/duft_seminar.htm).

[3] ausführlich behandeln le guérer und corbin die kulturgeschichte des geruches und die medizingeschichte der pest.

*** dieser text ist ein auszug aus meiner magisterarbeit a rose is a rose is a rose (gertrude stein) – geruchskostüme in der kunst.

*** dieser text ist ein auszug aus meiner magisterarbeit a rose is a rose is a rose (gertrude stein) – geruchskostüme in der kunst.

exkurs: le pétomane

auszüge aus meiner  magisterarbeit „rose is a rose is a rose“ (gertrude stein) – geruchskostüme in der kunst

kapitel 5.8. exkurs: le pétomane

b:anale körperunst

joseph pujol ist ein perfektes beispiel für die verdrängung der ‚niederen’ sinne und des ‚trivialen’ aus den offiziellen kunstannalen. mit den ‚afterkunst-performances’ begann er seine karriere in den 90er jahren des 19. jahrhunderts auf der sogenannten elefantenbühne im garten des moulin rouge in paris und kassierte in seinen besten bühnenjahren eine tagesgage von 20.000 franc.  seine po-kompositionen müssen wie ein publikumsmagnet gewirkt haben, wenn sich etwa die gefeierte schauspielerin sarah bernhard anläßlich eines gastspiels in der comédie française vor leerem zuschauersaal genötigt sah, diese tatsache in ihren lebenserinnerungen mit der zur gleichen zeit stattfindenden und ausverkauften aufführung von pujol zu begründen. während jedoch die bernhard als star der ernsthaften bühnenkunst noch heute ein hohes maß an bekanntheit besitzt, geriet die vulgär wehende, ephemere, darmdonnernde, (b)anale unterhaltungskunst auf der vaudevillebühne, die das publikum zum zügellosen johlen brachte, beinahe in vergessenheit.

der künstlername le pétomane ist eine ableitung aus dem französischen argotwort péter (zu deutsch: furzen). aber weder banausenhafter furz, noch medizinische blähung oder flatus scheinen geeignet, eine engere beziehung mit der ‚hochkunst’ einzugehen. lebensnähe verband pujol mit dem maler und graphiker henri toulouse-lautrec, der ein plakat für das moulin rouge entwarf, auf dem pujol in leicht nach vorne gebeugter haltung – wie bei einem servilen bückling aus hochachtung vor dem geneigten publikum – zu sehen ist.

henri toulouse-lautrec: le pétomane.

als medizinisches phänomen konnte der kunstfurzer durch den anus luft einziehen und durch gleichzeitiges, gezieltes luftschlucken wurden seine schließmuskeln zu singenden sphinktern. diese seltene anale anlage ermöglichte ihm geruchloses darmtönen, denn die luft war schließlich nicht mit abgestandenen, verdrückten verdauungsabgasen verpestet:

„für gewöhnlich begann der pétomane, das hinterteil dem publikum zugewandt und über die schulter die einzelnen nummern ansagend, seine darbietungen mit einer reihe von ‚charakterfürzen’. vom ‚verklemmten jungmädchen-furz’ über den bellenden ‚schwiegermutter-furz’ steigerte er sich zum runden ‚maurer-furz’ (trocken). den höhepunkt bildeten die zu einer kleinen szene ausgebauten fürze ‚einer braut in der hochzeitsnacht’ (verschämt) und ‚am morgen danach’ (sehr laut).“ (oettermann, stephan: „allesfresser, schau-schlucker, hungerkünstler, kunstfurzer. über den geschmack am anderen“. in: kursbuch 79, februar 1985. hrsg. v. karl markus michel und tilman sprengler. berlin 1985,  s. 115 – 130, S.128ff.).

es ist signifikant, daß pujol sein darmkonzert mit einem schamschwellentest einstimmte. gelang das vorspiel, was sich aus den reaktionen des publikums herauskristallisierte, konnte pujol bedenkenlos mit stärkeren geschützen auffahren, die von zahlreichen militärgeräuschen (fanfare, artillerie) bis hin zur imitation zerreißenden stoffes und von tierstimmen reichten. In der ‚windstille’ folgte rektalrauchen. daran schloß sich der konzertante teil des abends an. flatulenz-fantasien brachten ein breites ‚stimmvolumen’ von sopran bis baß, von pianissimo bis forte zu gehör. damit nicht genug, steigerte er seine körperteilbeherrschung durch technische hilfsmittel. mit medizinischer präzision führte er sich einen schlauch in den anus und begann auf einer daran angeschlossenen okarina volkslieder (das schlaflied au clair de la lune oder das liebeslied o sole mio) zu spielen. das pupskonzert gipfelte in einem großen zapfenstreich mit heißer luft, indem pujol rücklings eine kerze ausblies. An den männerabenden soll er sogar seine hosen vor den po-bewunderern fallen gelassen und die marseillaise intoniert haben. die öffentliche kleiderordnung zwang pujol für seine aufführungen zu einer weiteren erfindung. um dem vorwurf erregung öffentlichen ärgernisses, das er ohnehin für die moralapostel bot, zu entgehen, ließ er sich eine eigens entworfene hose patentieren. die von vorne recht gewöhnlich aussehenden knicker-knatter-bocker zierte an der rückseite kurz unter dem hinteren hosenbund eine aufknöpfbare stoffklappe. dadurch verdeckte er seine blöße bei der einführung des schlauches und dem okarinakonzert und konnte somit seinerzeit skandalöse nacktheit abwenden.

mythos und moral

dieses ‚zweite gesicht’ pujols erinnert zuvörderst an die evolution. bei den urtieren bildeten mund und after noch eine einheit. claude lévi-strauss erwähnt in seiner mythologica III nachstehenden tanlipang-mythos: „einst hatten weder menschen noch tiere einen after, und sie kackten durch den mund.“ (lévi-strauss, claude: das wilde denken. frankfurt/main 1991, S. 508). es ist für den kultivierten, pazifistischen menschen schwer vorstellbar, aber in extremsituationen ißt und trinkt er alles. nicht nur in armut und im krieg vergißt er seine guten sitten und religiösen gebote. er raubt, mordet, vergewaltigt, mißhandelt, quält seine opfer psychisch und physisch. jedoch, zwischen blutrausch, barbarei und blähung liegen welten. mag vergnügungssucht durch furz-konzerte noch so sehr den schöngeist vergewaltigen, dann erscheint das als eingebildete, kulturell und gesellschaftlich kanonisierte mode. montaignes essay über einige verse des vergil zeugt noch vom fleisch und blut des leibes, seiner Leidenschaftlichkeit, seiner umtriebigkeit und prangert die im 17. jahrhundert eingebürgerte einschränkung der redefreiheit auf die monologische gedankenwelt an, weil die menschen ihr gewissen ins bordell schicken und zugleich den biedermann (423) spielten:

„was hat der geschlechtsakt, dieser so natürlich, nützliche, ja notwendige vorgang den menschen eigentlich angetan, daß sie nicht ohne scham davon zu reden wagen und ihn aus den ernsthaftesten und sittsamen gesprächen verbannen? wir haben keinerlei hemmung, die worte töten, rauben und verraten offen auszusprechen – und da sollen wir uns dieses eine bloß zwischen den zähnen zu murmeln getraun? meinen wir gar, wir hätten, je weniger worte wir darüber machen, ein um so größeres recht, mit unseren gedanken ständig darin zu schwelgen?“ (montaigne, michel de: „über gerüche“. in: essais. erstes buch. hrsg. v. hans magnus enzensberger. frankfurt/main 1998, s. 424).

gleiches ist für alle natürlichen körperverrichtungen – inklusive verdauungsvorgänge und  körpergeräusche – zu bemerken. nichts läßt sich in der medienära leichter befördern als ein deftiger sittenskandal des zerrbilds ‚gemeines’ volk, der von den vertuschten affären der staatsmacht ablenkt. wenn nur die lancierten politischen maskenbälle und bürokratischen worthülsen nicht wären, dann bräuchte das volk möglicherweise weniger opiate, um den parfümierten ‚affentanz’ lachend zu ertragen. ein bißchen ausgelassenheit im sinne des bachtinschen karnevalistischen weltempfindens sollte als ausgleich für den ernst des lebens möglich sein.

grotesker leib und karneval

in der tradition des grotesken leibes der renaissance steht auch pujol. zwar kann er seine gesäßmusik nicht wie beim mittelalterspektakel auf einem öffentlichen platz vorführen, dennoch leben einige elemente des karnevals, wie sie bachtin für die literatur beschreibt, in ihr weiter. zum einen herrschte im vaudeville per se eine atmosphäre des intim-familiären kontakts und karnevalisierten kollektivs durch das spielerische und komische auf der bühne, das sich außerhalb des alltäglichen ereignet (bachtin, michail M.: rabelais und seine welt. volkskultur als gegenkultur. hrsg. v. renate lachmann. frankfurt/main 1987, S. 77). bereits in pujols ‚entree’ kündigt sich die parodie der pietät als hauptmerkmal der aufführung an. sie enthält ebenso ambivalenz (verklemmt/enthemmt), der unschicklichen reden und dazugehörigen geräuschkulissen, die polarität und verkehrung von gesicht und gesäß, die exzentrik durch den spiegelbildlichen gebrauch des oralen blasinstruments als anales, den karneval als die umgestülpte welt (bachtin 49, 55). nicht umsonst wird die toilette scherzhaft als thron bezeichnet, denn in den natürlichen körpervorgängen sind sich alle menschen gleich. die demonstrierte wesensgleichheit trotz des gezüchtigten leibkanons löst dann auch das befreiende lachen aus:

„das lachen befreit nicht nur von der äußeren zensur, sondern vor allem vom großen inneren zensor, von der in jahrtausenden dem  menschen anerzogenen furcht vor dem geheiligten, dem autoritären verbot, dem vergangnen, vor der macht.“ (bachtin 39).

der groteske bühnen-leib pujols formte sich gleichsam aus der überbetonung des gesäßes durch den überdimensionierten gesäßlatz und die überwiegende hinteransicht zur besseren akustik. nur bei der nummernansage drehte er dem publikum sein gesicht zu, was eigene mögliche peinlichkeitsempfindungen abwenden helfen konnte. laut bachtin sind nach dem bauch und den geschlechtsorganen mund und after die wichtigsten grotesken körperteile, die im wesentlichen die überschreitung der übergänge und annäherungen zwischen menschen sowie zwischen mensch und umwelt markieren, transfer und orientierung zulassen (bachtin 17). wie bei der überschreitung der leibgrenzen im grotesken körper-drama leben und tod im lebenskreislauf kopulieren, geschieht das bei pujols bühnenauftritt. einatmen und ausblasen von luft sind die passagen, wobei das maß der unsittlichen körperbeherrschung normierte sittliche darmstille persifliert. wenn pujol kurz vorm bühnenabtritt eine ‚göttliche’ kerzenflamme mit menschlicher abluft ausbläst, schließt er die bio(gas)maschine mensch wieder an den ewig erneuernden lebensmotor natur an. wo es in zeiten der dekadenz deftig nach natur roch, reichte das manchmal doch für herzhaftes, ungekünsteltes lachen, wenn auch ohne nachhaltigen einfluß auf die gesellschaftlich regulierte lebenspraxis.