in vielen beiträgen, die ich in letzter zeit über das thema internetzensur gelesen habe, wird das meist als ein künftiges phänomen beschrieben. die bundesregierung hat unter zensursula und schäublone einen gesetzentwurf verabschiedet, womit dem akb (123-321) das anlegen geheimer internetsperrlisten gestattet wird. internetanbieter sind dann gesetzlich dazu verpflichtet, den zugriff auf solche webseiten zu blockieren (vgl.).
nun gibt es aber bereits seiten, die von deutschland aus nicht mehr ohne weiteres lesbar sind. ob es der mißachtung von datenschutz, denunziantentum oder verletzung der privatsphäre geschuldet ist, sei dahingestellt. ich finde die seite http://www.rottenneighbor.com/ bietet für mich auch keine lösung, um nachbarschaftliche, freundschaftliche, private, familiäre, berufliche, strafrechtliche oder gesellschaftliche probleme zu lösen. für andere scheint ‚rache‘ oder öffentliche bloßstellung der einzige ausweg zu sein. dies soll aber nicht gegenstand des beitrags sein, sondern die permanente unerreichbarkeit der seite mit dem hinweis: ‚we’re sorry, we are currently down for maintanence.‚ (übrigens mit einem schreibfehler im dauerhinweis des deutschen providers. richtig wäre: ‚we’re sorry, we are currently down for maintenance.‘). es stellt sich aber nun bei meinen recherchen dazu heraus, daß dies schon mindestens seit ende februar 2009 der fall sein muß, wie in dem artikel ‚rottenneighbor.com ist für deutsche internetuser unerreichbar‚ nachzulesen ist. also falls auf meiner wordpress-seite bald der hinweis ‚wartungsarbeiten‘ auftaucht, würde ich vermutlich ungläubig gucken, aber es würde mich auch nicht sonderlich verwundern. man kann diese sperren übrigens umgehen, mit proxy-servern (siehe screenshot von heute) oder durch surfen über sog. virtual private networks (vpn). das ausmaß der internetzensur, die vor ’sicherheitslücken‘ nicht schützen kann, wird deutlich, wenn man den artikel über netzschnüffler und zensurunterwanderung in der volksrepublik china liest.
screenshot rottenneighbor.com
viel zu oft habe ich, wenn ich das thema internetsperren oder schutz der privatsphäre und verhinderung von vorratsdatenspeicherung in diskussionen ansprach, die antwort erhalten: ‚ich?! ich habe nichts zu verbergen!‚ aha, natürlich wedeln nun alle mit ihren weißen westchen wie mit patriotischen winkelementen herum. meine gegenfragen lauten: und wie sieht es mit deinem steuerbetrug in den letzten drei jahren aus? wie hoch ist dein kontostand und dein sparvermögen? wann hast du geburtstag? wie lautet deine sozialversicherungsnummer? wo wohnst du genau? wie hoch ist dein jahreseinkommen? wie oft bist du schon fremdgegangen? sorry, wenn sich da mal bei den antworten nicht die balken verbiegen vor lügen. dieses argument ist schlicht und ergreifend viel zu kurz gedacht. das neue gesetz ermächtigt das akb, bereits im verdachtsmoment kurzfristig durchsuchungsbefehle zu beantragen. das juristische prinzip ‚im zweifel für den angeklagten‚ wird einfach unterwandert. bei dem jetzigen personalmangel möchte ich sehen, wie da hinreichend im vorfeld ermittelt wird. es erscheint noch nicht mal eine streife, wenn man bei der polizei leipzig häusliche gewalt in der nachbarschaft vermeldet…
es bleiben nur noch zehn tage, die e-petition von franziska heine ‚internet – keine indizierung und sperrung von internetseiten vom 22.04.2009‚ hier zu unterzeichnen (deadline 16.06.2009!!!!!). dazu muß man freilich seine echten daten preisgeben. der kampf um die grundrechte einer demokratie, wozu die freie meinungsäußerung nun einmal gehört, sollte nicht irrtümlich als etwas eingestuft werden, was das volk nichts angeht oder wogegen man sich mit viel aufwand wehren muß. dazu braucht man nicht mal den sessel zu verlassen! über 114.600 bürger haben bereits unterzeichnet, so viele wie bei keiner anderen auf den seiten vom bundestag derzeit laufenden petitionen.
warum macht mich aber diese ganze debatte überhaupt so fassungslos? zum einen ist da der viel zu späte aufschrei der journalisten, die sich plötzlich und (haha) völlig unbegründet bespitzelungen ausgesetzt sehen. bei der reaktionszeit einer schnecke muß man wahrhaftig ins grübeln geraten. bereits 1996 wurde in das telekommunikationsgesetz ein abhörparagraph integriert. kaum mediale zuckungen damals! dann nach den anschlägen vom 11. september 2001 die verschärfte rasterfahndung, die übrigens teilweise als verfassungswidrig eingestuft wurde. der ruf nach sicherheit und schutz vor terrorismus. die geheimagenten scheinen ziemlich überfordert mit der orwellschen technikvisionsverwirklichung. politiker kämpfen aber an der front der legitimierten desinformation. die vr china – unsere kritikpunkte bei der mißachtung der menschenrechte, aber nun unser vorbild bei der internetzensur? geht’s noch?
'operative personenmaskierung' (opm) - verkleidungskoffer in den ausführungen 'bauarbeiter' und 'araber' für ausgewählte mfs-mitarbeiter (stasi-museum in der runden ecke in leipzig).
wie viele formen der zensur muß ich eigentlich noch miterleben? da war die kindheit und jugend in der sennheiser-verwanzten ddr.
technik aus niedersachsen - 1952 im einsatz als wanzen der stasi.
jeder aufsatz, jede klassenarbeit in geschichte oder dem fach staatsbürgerkunde mußte mit einem statement für den ach so fortschrittlichen sozialismus enden (viele wollen sich daran nicht mehr erinnern, schwelgen dennoch in einer mir unerklärlichen nostalgie). eide wurde geschworen (pioniere, fdj, parteitreue), schmutzige hände gewaschen. zwanzig jahre danach, beim besuch im stasi-museum in der runden ecke in leipzig kommt mir diese ddr-überwachung wie ein schlechter witz vor – natürlich in relation zur subtilität heutiger methoden. man schaue sich doch bitte einfach diese bilder zur ‚operativen personenmaskierung‘ an, die so einfach zu enttarnen waren. die spitzel verhielten sich nicht selten so ostentativ und laienhaft unauffällig, daß wir in unserem pubertär-naiven denken über jeden menschen mit lodenmantel, dederonbeutel, hut, brille sowie ausgebeulten taschen dachten, er sei ein spitzel. heute kann man die observierung nur ahnen. wenn die internetverbindung erlahmt oder ganz zusammenbricht. da werden heimlich 5pionage-computerprogramme auf dem rechner installiert, wenn ‚falsche‘ seiten besucht werden wollen, die u.a. nach schlüsselbegriffen durchforstet werden.
falsche nasen, falsche haare und glatzan - maskeraden für stasi-spitzel made in gdr.
ich ertappe mich oft dabei, wie ich mich bei meinem nicht mal dreimonatigen bloggen selbst zensiere, wie ich in ddr-denkstile zurückverfalle (zwischen den zeilen schreiben und lesen), die zwanzig jahre zurückliegen. und ich hatte mit der politischen wende gehofft, daß dieses selbstbeschnittene denken und reden ein ende hat. vergeblich, wie sich bereits ein jahr später bei meinem zeitungsvolontariat herausstellte. ich lernte zu schnell, daß ich nicht als journalist arbeiten wollte, weil konträre meinungsäußerung unerwünscht ist. warum selbstzensur? einerseits, um mir die schweinepriester vom leib zu halten, andererseits um nicht beim verfa55ung55chutz registriert zu werden. nun gut, jetzt habe ich die petition ‚mitgezeichnet‚, wie es so schön heißt auf der bundestag-internetpräsenz. ich hoffe, der datenschutz funktioniert?!
für die stasi bereits staatsfeindliche hetze - anonyme kritik am agitatorischen staatsfernsehen aus dem jahr 1969. abschnittsbevollmächigte (abv) kontrollierten damals die ausrichtung von fernsehantennen.
ich lebe heute in leipzig, in der stadt, in der am 26.juni 1981 die letzte todesstrafe durch genickschuß in der hinrichtungsstätte in der alfred-kästner-straße an werner teske (mfs-mitarbeiter mit ddr-fluchtplänen) vollstreckt wurde. als kind und bis zu meinem 18. lebensjahr blickte ich beim frühstücken allmorgendlich auf den glockenturm des ehemaligen konzentrationslagers buchenwald, später waren hier politische gefangene der sowjetischen besatzungsmacht untergebracht. lediglich über das kz durfte in der antifaschistischen ddr offiziell gesprochen werden. hinrichtungen und sowjetische internierungslager unterlagen strenger geheimhaltung. dennoch sickerten andeutungen durch. weimar ist eine kleinstadt, leipzig eine großstadt mit kleinstädtischem charakter. jüngst fiel mir auf, daß die hinweistafel zur hinrichtungsstätte demontiert wurde. ich habe keine ahnung, von wem und warum und ob sie wieder angebracht wird. restaurierungsbedürftig sah sie vor ein paar monaten noch nicht aus…
zum abschluß noch ein kurzer blick in die länger zurückliegende zensur-historie (oder besser zensurhysterie). wachsamkeit war schon das schlagwort des stalinismus, um nachbarn, freunde, feinde, konkurrenten, ehepartner in der sowjetunion unter dem vorwand der staatsfeindlichkeit zu internieren. der ‚große terror‚ (auch ‚große säuberung‘) unter stalin und nkwd-leiter jeschow in den jahren 1935 – 1939 forderte millionen opfer, die in arbeitslagern verschwanden, erschossen wurden, ohne jeden prozeß. die schauprozesse mit gefälschten anklagen und erpressten zeugen – sie überzeugten sogar eine menge westlicher kommunisten von der notwendigkeit, die politische macht mit allen mitteln zu erhalten. welche verblendung. oder nehmen wir die mccarthy-ära in den usa, der ausschweifende antikommunismus von senator joseph mccarthy bis etwa 1956. auf mitglieder der amerikanischen kommunistischen partei und deren vermeintliche sympathisanten wurde eine regelrechte hetzjagd gemacht (auch hier wieder gefakte prozesse; filmtips: ‚schuldig bei verdacht‚, ‚good night, and good luck‚). und noch heute wird der begriff mccarthyism verwendet, wenn die bevölkerung medial oder politisch in angstzustände versetzt werden soll. oder der fall richard gere, der china bei der oscar-verleihung 1993 für die tibet-politik kritisierte. er wurde dort flugs zur unerwünschten person erklärt und bekam auch spürbar weniger rollen in der heimat… usw.
um eins klarzustellen: ich bin kein freund von strafrechtlich relevanten internetseiten. aber es geht auch ohne internetsperren, wie dieser artikel zeigt. löschen, löschen, löschen! manchmal hilft aber nur noch ein guter fachanwalt für internetrecht. und das wird teuer! soweit sollte es nicht kommen, sonst muß ich nach fast 18 jahren ddr und fast 20 jahren brd doch noch auswandern. oder wenigstens mein handy gegen trommeln und rauchzeichen eintauschen bzw. mein laptop gegen eine schiefertafel.