Schlagwort-Archive: sicherheit

alles im blick

hinter einem mannshohen zaun am haus eines architekten in leipzig blitzt dieser spiegel hervor. aber das reicht ja noch nicht. wer mal das bild vergrößert erkennt im spiegel an der hauswand noch eine überwachungskamera, um auch jeden toten winkel am eingang im blick zu haben. doppelt hält ja angeblich besser oder gar nicht, was es verspricht.

identität

anonymitaetaus aktuellem anlaß verweise ich nochmals auf die enorme bedeutung, seine eigenen daten auch im internet zu schützen. anonymität ist die essenz für menschen, die sich nicht einer oktroyierten meinung unterwerfen. meinungsvielfalt, bedeutungsvielfalt, kulturvielfalt – für diese grundrechte lohnt es jeden tag zu streiten. und dazu passt auch der mahnende hinweis gegenüber dem amtsgericht leipzig. je höher der staatliche schutz, desto unsicherer die situation für die andersdenkenden. ich rede hier nicht von sinnlosen gewaltorgien, sondern von friedlichen demonstrationen, auf denen auch eifrig gefilmt wird. ich rede auch von dem schutz vor der wut aggressiver zeitgenossen, denen nur allzu sehr daran gelegen ist, geisteswidersacher mundtot zu machen. vermummen statt verdummen und verstummen.

ps: bin gerade im migränemodus, also alles auf minimal.

kryptographie

schluesselzeitenwende, wendezeiten. nach der verabschiedung des gesetzes zu den internet5perren durch den bunde5tag, denke ich ernsthaft über die anwendung ver5chlü55elter 5prachformen nach, selbst wenn noch klagen vor dem verfa55ung5gericht und die zu5timmung durch den bunde5rat fehlen. ge5tern 5chickte ich bereit5  virtuelle blumige grüße nach berlin. leider 5teht über leetspeak 5chon zu viel im internet, weswegen ich mir im moment auch die mühe sparen kann, jedes s durch eine 5 zu ersetzen. kein haus, keine wohnung, kein auto bietet mit dem schlüsselprinzip einen garant für sicherheit. von der angst vor einbrüchen profitieren die  schadenersatz versprechenden versicherungen, deren policen im gegensatz dazu neue lücken für den verunsicherten verstecken.

mittlerweile wird der mensch in zahllosen bereichen überwacht. handys verraten den aufenthaltsort, verbindungsdaten offenbaren die kontakte und telefongewohnheiten. beim einkaufen übermitteln rfid-chips und kundenkarten unsere vorlieben für nahrung und kleidung, nebenbei auch noch die persönlichen daten. ungesicherte wlan-router machen uns zusätzlich angreifbar. nein, das wort funk steht definitiv nicht in zusammenhang mit dem wort fun, der sich zugegeben auch drahtlos besser übermitteln läßt. ach, und als das alles erfunden wurde, war es natürlich nur zum besten der menschheit gedacht. lobpreisungen der hersteller über die daraus entstehenden vereinfachungen im leben. fortschrittsgläubigkeit, gaaanz ohne verluste.

die defizite werden hübsch verpackt als bundespolitische holzkaltblüter nicht mehr vor den stadtmauern postiert, sie kommen per draht oder funk ins haus. eine immaterielle maskierung, die zum verschaukeln verleitet. und leider haben viele eine lange leitung, die von den sogenannten leitmedien verstrahlt wurde. strenggenommen hirnkrebs infolge von augenkrebs oder umgekehrt, jedenfalls gestreut und gleich noch eine chemo drauf, damit wird heilung suggeriert. so ist das unsichtbare oft auch das unheimliche, und das heimliche das ewig reizvolle, das kaum wahrnehmbare das missachtete und das unterschätzte. das staatliche gegensteuern gebiert neue schleichwege. vom kriechstrom zum kriechtier.

ohne firlefanz mit datenschwanz

irgendwie kann ich mich des eindrucks nicht erwehren, daß die telekom fest entschlossen an der voreiligen oder pflichtbewußten umsetzung der novellierung des telekommunikationsgesetzes frickelt. zur erinnerung: 1996 wurde der abhörparagraph aufgenommen. 2008 und 2009 standen für den  ex-yuppie robert-t-online bisher im sternzeichen des skorpions, dem leiden:schaftliche affären nachgesagt werden. kundendaten wurden an adresshändler und callcenter weiterverhökert. dann krochen diese samt kontoverbindungen durch das globale spinnennetz.  das datenvolumen von aufsichtsräten, journalisten und mitarbeiten wurde nicht bloß gehortet, sondern sytematisch beschnüffelt. deren kontaktpersonen wiederum litten sicher auch nicht unter fehlender, zweifelhafter aufmerksamkeit. mauschelei mit dem akb blieb selbstverständlich bestritten und nur ein gerücht. selbst die intimsphäre von bewerbern bot sich an, nach schmutzspuren in der unterwäsche zu suchen. scheinbar fehlt da im unternehmen ein großer waschsalon und vor allem das programm klarspülen.

2007 wollte die telekom ‚ihre auskunft 11833‘ schon abstoßen. was es war, was das offenbar unrentable geschäftemachen verhinderte? kein anschluß unter dieser nummer! in zeiten von sozialen netzwerken wie facebook, xing!, skype und wie sie alle heißen, wird die frage nach der notwendigkeit einer telefonauskunft allerdings neu gestellt bzw. öffentlich großformatig plakatiert. genau genommen braucht der virtuell angeschlossene mensch heute wohl kaum die teure auskunft (*aus dem telekomfestnetz 1,79 euro/min.), findet er doch nahezu alle gesuchten angaben in den profilen, bei google maps usw. wozu also der rosarot inszenierte budenzauber? wird dort jetzt für den horrenden minutenpreis telefonseelsorge oder gar eine sexhotline betrieben? können wir dort jetzt mißliebige zeitgenossen anprangern, deren daten dann sorgsam weitergereicht werden? nö, angeblich ‚infos ohne firlefanz‘. nur, wer glaubt das noch? hallo leser, gibt es noch menschen, die dort anrufen würden wollen nach dem datendesaster?

und sonst? please hold the on:line. engmaschige sicherheit garantiert! die initialen von h. huber ergeben lautsprachlich was… ? genau! hohlen hohn.

telekom

VR deutschland?

in vielen beiträgen, die ich in letzter zeit über das thema internetzensur gelesen habe, wird das meist als ein künftiges phänomen beschrieben. die bundesregierung hat unter zensursula und schäublone einen gesetzentwurf verabschiedet, womit dem akb (123-321) das anlegen geheimer internetsperrlisten gestattet wird. internetanbieter sind dann gesetzlich dazu verpflichtet, den zugriff auf solche webseiten zu blockieren (vgl.).

nun gibt es aber bereits seiten, die von deutschland aus nicht mehr ohne weiteres lesbar sind. ob es der mißachtung von datenschutz, denunziantentum oder verletzung der privatsphäre geschuldet ist, sei dahingestellt. ich finde die seite http://www.rottenneighbor.com/ bietet für mich auch keine lösung, um nachbarschaftliche, freundschaftliche, private, familiäre, berufliche, strafrechtliche oder gesellschaftliche probleme zu lösen. für andere scheint ‚rache‘ oder öffentliche bloßstellung der einzige ausweg zu sein. dies soll aber nicht gegenstand des beitrags sein, sondern die permanente unerreichbarkeit der seite mit dem hinweis: ‚we’re sorry, we are currently down for maintanence.‚ (übrigens mit einem schreibfehler im dauerhinweis des deutschen providers. richtig wäre: ‚we’re sorry, we are currently down for maintenance.‘). es stellt sich aber nun bei meinen recherchen dazu heraus, daß dies schon mindestens seit ende februar 2009 der fall sein muß, wie in dem artikel ‚rottenneighbor.com ist für deutsche internetuser unerreichbar‚ nachzulesen ist. also falls auf meiner wordpress-seite bald der hinweis ‚wartungsarbeiten‘ auftaucht, würde ich vermutlich ungläubig gucken, aber es würde mich auch nicht sonderlich verwundern. man kann diese sperren übrigens umgehen, mit proxy-servern (siehe screenshot von heute) oder durch surfen über sog. virtual private networks (vpn). das ausmaß  der internetzensur, die vor ’sicherheitslücken‘ nicht schützen kann, wird deutlich, wenn man den artikel über netzschnüffler und zensurunterwanderung in der volksrepublik china liest.

screenshot rottenneighbor.com

screenshot rottenneighbor.com

viel zu oft habe ich, wenn ich das thema internetsperren oder schutz der privatsphäre und verhinderung von vorratsdatenspeicherung in diskussionen ansprach, die antwort erhalten: ‚ich?! ich habe nichts zu verbergen!‚ aha, natürlich wedeln nun alle mit ihren weißen westchen wie mit patriotischen winkelementen herum. meine gegenfragen lauten: und wie sieht es mit deinem steuerbetrug in den letzten drei jahren aus? wie hoch ist dein kontostand und dein sparvermögen? wann hast du geburtstag? wie lautet deine sozialversicherungsnummer? wo wohnst du genau? wie hoch ist dein jahreseinkommen? wie oft bist du schon fremdgegangen? sorry, wenn sich da mal bei den antworten nicht die balken verbiegen vor lügen. dieses argument ist schlicht und ergreifend viel zu kurz gedacht. das neue gesetz ermächtigt das akb, bereits im verdachtsmoment kurzfristig durchsuchungsbefehle zu beantragen. das juristische prinzip ‚im zweifel für den angeklagten‚ wird einfach unterwandert. bei dem jetzigen personalmangel möchte ich sehen, wie da hinreichend im vorfeld ermittelt wird. es erscheint noch nicht mal eine streife, wenn man bei der polizei leipzig häusliche gewalt in der nachbarschaft vermeldet…

es bleiben nur noch zehn tage, die e-petition von franziska heine ‚internet – keine indizierung und sperrung von internetseiten vom 22.04.2009hier zu unterzeichnen (deadline 16.06.2009!!!!!). dazu muß man freilich seine echten daten preisgeben. der kampf um die grundrechte einer demokratie, wozu die freie meinungsäußerung nun einmal gehört, sollte nicht irrtümlich als etwas eingestuft werden, was das volk nichts angeht oder wogegen man sich mit  viel aufwand  wehren muß. dazu braucht man nicht mal den sessel zu verlassen! über 114.600 bürger haben bereits unterzeichnet, so viele wie bei keiner anderen auf den seiten vom bundestag derzeit laufenden petitionen.

warum macht mich aber diese ganze debatte überhaupt so fassungslos? zum einen ist da der viel zu späte aufschrei der journalisten, die sich plötzlich und (haha) völlig unbegründet bespitzelungen ausgesetzt sehen. bei der reaktionszeit einer schnecke muß man wahrhaftig ins grübeln geraten. bereits 1996 wurde in das telekommunikationsgesetz ein abhörparagraph integriert. kaum mediale zuckungen damals! dann nach den anschlägen vom 11. september 2001 die verschärfte rasterfahndung, die übrigens teilweise als verfassungswidrig eingestuft wurde. der ruf nach sicherheit und schutz vor terrorismus. die geheimagenten scheinen ziemlich überfordert mit der orwellschen technikvisionsverwirklichung. politiker kämpfen aber an der front der legitimierten desinformation. die vr china – unsere kritikpunkte bei der mißachtung der menschenrechte, aber nun unser vorbild bei der internetzensur? geht’s noch?

'operative personenmaskierung' (opm) - verkleidungskoffer in den ausführungen 'bauarbeiter' und 'araber' für ausgewählte mfs-mitarebeiter. zu sehen im stasi-museum in der runden ecke in leipzig.

'operative personenmaskierung' (opm) - verkleidungskoffer in den ausführungen 'bauarbeiter' und 'araber' für ausgewählte mfs-mitarbeiter (stasi-museum in der runden ecke in leipzig).

wie viele formen der zensur muß ich eigentlich noch miterleben? da war die kindheit und jugend in der sennheiser-verwanzten ddr.

technik aus niedersachsen - 1952 im einsatz als wanzen der stasi.

technik aus niedersachsen - 1952 im einsatz als wanzen der stasi.

jeder aufsatz, jede klassenarbeit in geschichte oder dem fach staatsbürgerkunde mußte mit einem statement für den ach so fortschrittlichen sozialismus enden (viele wollen sich daran nicht mehr erinnern, schwelgen dennoch in einer mir unerklärlichen nostalgie). eide wurde geschworen (pioniere, fdj, parteitreue), schmutzige hände gewaschen. zwanzig jahre danach, beim besuch im stasi-museum in der runden ecke in leipzig kommt mir diese ddr-überwachung wie ein schlechter witz vor – natürlich in relation zur subtilität heutiger methoden. man schaue sich doch bitte einfach diese bilder zur ‚operativen personenmaskierung‘ an, die so einfach zu enttarnen waren. die spitzel verhielten sich nicht selten so ostentativ und laienhaft unauffällig, daß wir in unserem pubertär-naiven denken über jeden menschen mit lodenmantel, dederonbeutel, hut, brille sowie ausgebeulten taschen dachten, er sei ein spitzel. heute kann man die observierung nur ahnen. wenn die internetverbindung erlahmt oder ganz zusammenbricht. da werden heimlich 5pionage-computerprogramme auf dem rechner installiert, wenn ‚falsche‘ seiten besucht werden wollen, die u.a. nach schlüsselbegriffen durchforstet werden.

falsche nasen, falsche haare - maskeraden für stasi-spitzel made in gdr.

falsche nasen, falsche haare und glatzan - maskeraden für stasi-spitzel made in gdr.

ich ertappe mich oft dabei, wie ich mich bei meinem nicht mal dreimonatigen bloggen selbst zensiere, wie ich in ddr-denkstile zurückverfalle (zwischen den zeilen schreiben und lesen), die zwanzig jahre zurückliegen. und ich hatte mit der politischen wende gehofft, daß dieses selbstbeschnittene denken und reden ein ende hat. vergeblich, wie sich bereits ein jahr später bei meinem zeitungsvolontariat herausstellte. ich lernte zu schnell, daß ich nicht als journalist arbeiten wollte, weil konträre meinungsäußerung unerwünscht ist. warum selbstzensur? einerseits, um mir die schweinepriester vom leib zu halten, andererseits um nicht beim verfa55ung55chutz registriert zu werden. nun gut, jetzt habe ich die petition ‚mitgezeichnet‚, wie es so schön heißt auf der bundestag-internetpräsenz. ich hoffe, der datenschutz funktioniert?!

für die stasi bereits staatsfeindliche hetze - anonyme kritik am agitatorischen staatsfernsehen aus dem jahr 1969. abschnittsbevollmächigte (abv) kontrollierten damals die ausrichtung von fernsehantennen.

für die stasi bereits staatsfeindliche hetze - anonyme kritik am agitatorischen staatsfernsehen aus dem jahr 1969. abschnittsbevollmächigte (abv) kontrollierten damals die ausrichtung von fernsehantennen.

ich lebe heute in leipzig, in der stadt, in der am 26.juni 1981 die letzte todesstrafe durch genickschuß in der hinrichtungsstätte in der alfred-kästner-straße an werner teske (mfs-mitarbeiter mit ddr-fluchtplänen) vollstreckt wurde. als kind und bis zu meinem 18. lebensjahr blickte ich beim frühstücken allmorgendlich auf den glockenturm des ehemaligen konzentrationslagers buchenwald, später waren hier politische gefangene der sowjetischen besatzungsmacht untergebracht. lediglich über das kz durfte in der antifaschistischen ddr offiziell gesprochen werden. hinrichtungen und sowjetische internierungslager unterlagen strenger geheimhaltung. dennoch sickerten andeutungen durch. weimar ist eine kleinstadt, leipzig eine großstadt mit kleinstädtischem charakter. jüngst fiel mir auf, daß die hinweistafel zur hinrichtungsstätte demontiert wurde. ich habe keine ahnung, von wem und warum und ob sie wieder angebracht wird. restaurierungsbedürftig sah sie vor ein paar monaten noch nicht aus…

zum abschluß noch ein kurzer blick in die länger zurückliegende zensur-historie (oder besser zensurhysterie). wachsamkeit war schon das schlagwort des stalinismus, um nachbarn, freunde, feinde, konkurrenten, ehepartner in der sowjetunion unter dem vorwand der staatsfeindlichkeit zu internieren. der ‚große terror‚ (auch ‚große säuberung‘) unter stalin und nkwd-leiter jeschow in den jahren 1935 – 1939  forderte millionen opfer, die in arbeitslagern verschwanden, erschossen wurden, ohne jeden prozeß. die schauprozesse mit gefälschten anklagen und erpressten zeugen – sie überzeugten sogar eine menge westlicher kommunisten von der notwendigkeit, die politische macht mit allen mitteln zu erhalten. welche verblendung. oder nehmen wir die mccarthy-ära in den usa, der ausschweifende antikommunismus von senator joseph mccarthy bis etwa 1956. auf mitglieder der amerikanischen kommunistischen partei und deren vermeintliche sympathisanten wurde eine regelrechte hetzjagd gemacht (auch hier wieder gefakte prozesse; filmtips: ‚schuldig bei verdacht‚, ‚good night, and good luck‚). und noch heute wird der begriff mccarthyism verwendet, wenn die bevölkerung medial oder politisch in angstzustände versetzt werden soll. oder der fall richard gere, der china bei der oscar-verleihung 1993 für die tibet-politik kritisierte. er wurde dort flugs zur unerwünschten person erklärt und bekam auch spürbar weniger rollen in der heimat… usw.

um eins klarzustellen: ich bin kein freund von strafrechtlich relevanten internetseiten. aber es geht auch ohne internetsperren, wie dieser artikel zeigt. löschen, löschen, löschen! manchmal hilft aber nur noch ein guter fachanwalt für internetrecht. und das wird teuer! soweit sollte es nicht kommen, sonst muß ich nach fast 18 jahren ddr und  fast 20 jahren brd doch noch auswandern. oder wenigstens mein handy gegen trommeln und rauchzeichen eintauschen bzw. mein laptop gegen eine schiefertafel.

lehrstück der unmenschlichkeit

den lauen sommerabend auf dem balkon genießen. palavern, lachen. plötzlich schallen schreie herüber. schnell wird klar, daß es sich nicht um plärrenden ton von radio oder fernsehen handelt. ein handfester beziehungsstreit. zunächst fallen tiernamen und rektalbetitelungen. immer lauter, schrill, lallend und doch dringen die wortfetzen ganz klar ins gehirn. wir schauen uns an, fragen uns: ‚hörst du, was ich gerade höre?‘, antworten ‚ja‘. wir schweigen betroffen über die ungewollte ohrenzeugenschaft. es ist unmöglich, in der raumakustik des hinterhofes den genauen ursprungsort auszumachen. blattwerk nimmt uns die sicht auf die gegenüberliegenden wohnungen. plötzlich kommen klatschende geräusche zu den schreien, die gegenseitigen anschuldigungen werden immer niederträchtiger. es sind eindeutig schläge, die von einer frauenstimme mit den worten: ‚du kannst nüscht anderes, als frauen schlagen.‘ quittiert werden. ich sitze immer noch wie festgenagelt. bis ich nach kurzer beratung zum telefon greife und das zweite mal im leben den polizeiruf 110 wähle.

ich lande in der einsatzzentrale in leipzig. eine sehr gelassene namenlose männerstimme fragt nach dem anliegen. ich sprudele über vor blankem entsetzen. ich soll meinen namen nennen, die lage des hauses beschreiben.  ich höre den lauten anschlag einer einzelnen taste. plötzlich spricht der innendienstbeamte mit seinem computer. ’na, mein gutster, was is denn nun los?‘ offenbar streikt die rechentechnik. dabei klingt seine stimme immer noch völlig gelassen. so, als würde seine sanftheit durch die leitung bis auf das haus gegenüber wirken können. routinemäßig fragt er noch einige eckdaten ab und beendet das gespräch.

wir gehen zurück auf den balkon, lauschen weiter dem streitgespräch. unüberhörbare lautstärke. es folgen anschuldigungen der art: ‚immer mußt du dich völlig besaufen!‘ ’na genau wie du! heute ist männertag, nicht frauentag!‘ sie will sich trennen, fängt nun mit den themen geld und arbeitsamt an. wir hören, wie sich die beiden durch die wohnung jagen, möbel und gegenstände rücken und fallen. wieder klatschen. die zoffzeit wirkt schier endlos. ich schaue auf mein handy… tja, die polizei habe ich vor 36 minuten angerufen. es ist immer noch keine grüne minna in sicht. und irgendwie wird mir klar, daß auch niemand kommen wird. von überall her und im minutentakt hört man sirenen von einsatzfahrzeugen heulen. es ist himmelfahrt. trunkenheitsanlaß für viel zu viele. die masse kippt maßlos alles in sich, torkelt, jauchzt, heult, prügelt, beleidigt. kontroll- und sinnverlust. nur unter zwang würde ich meine wohnung angesichts dieser umstände verlassen. es zeichnete sich bereits nachmittags bei meiner radtour ab: die schlangenlinien fuhr ich, um orientierungslosen besoffenen auszuweichen.

heute bin ich verdrossen, wütend, verstört. wahrscheinlich bin ich eine der wenigen, denen es nicht egal ist, ob sich das prekariat gegenseitig ausrottet. der schlaf war dementsprechend kurz und unruhig. die beiden streitsüchtigen haben nach einem kurzen aufbäumen im kampf um die fernbedienung offensichtlich wieder frieden vor dem besäuselnden unterhaltungsprogramm gefunden. leider habe ich nicht die gnade des filmrisses erfahren.

politierwie alltäglich ist häusliche gewalt? wie normal sind sich zerfetzende suffköppe in unserer gesellschaft geworden? warum dulden menschen (frauen und männer) solche demütigungen? wie ambivalent wird liebe gelebt? wie abgestumpft sind die nachbarn? ist das wirklich verletzung der privatsphäre, wenn ich mich einmische oder nicht doch zivilcourage? ich konnte nicht anders handeln, weil mein unrechtsbewußtsein mich hat erzittern lassen. warum, verdammt noch mal, ist die polizei bis heute nicht aufgetaucht? soll ich nun dienstaufsichtsbeschwerde einlegen? wird häusliche gewalt von der leipziger polizei bagatellisiert? reagiere ich über? soll ich das nächste mal erst dann die polizei anrufen, wenn der leichengeruch herüberweht? drückt der beamte beim notruf wegen mordes langsam seine computerknöpfe und sagt ‚oooch, mein computer hat sich auch gerade aufgehängt. moooment, ich verbinde sie, sobald er wieder funktioniert, weiter zur mordkommission.‘? in der warteschleife raunzt eine stimme: ‚please hold the line!‘. bis dahin sind doch alle krepiert! aber der beamte hatte einen streßfreien arbeitstag. kann nach schichtende die spinnweben zwischen kopf und tisch abwischen, friedvoll seufzen und heimdackeln. *aaarghhh*

street:casting or stasi 2.0

videoueberwachung1

die bevölkerung sollte viel mehr lächeln. schließlich könnte überall ein casting im öffentlichen raum lauern. und da würde es sich hübsch ausnehmen, keine verbiesterte fresse zu ziehen.

der besitzer diese wohnhauses in (…) hat seine ganz eigene meinung zum thema. während er andere graffiti und krakeleien an seiner hausfassade überpinseln ließ, wurde dieses stencil fein säuberlich umrandet.

und denkt daran – auch im schlaf könnte euch noch jemand beobachten. also nicht abschminken, nicht mit den zähnen knirschen oder schnarchen, nicht mit offenem mund und schlaff heraushängender zunge daliegen. die große entdeckung kann jedem jederzeit widerfahren. immer schön in form bleiben und die fassung bewahren. kontrollverlust? aber bitte kontrolliert!